Herr Addo, Sie sind Trainer für Top-Talente bei Borussia Dortmund – eigentlich ein Full-Time-Job. Dann kam im Februar 2022 die Anfrage aus Ghana, die Nationalmannschaft als Cheftrainer zu übernehmen – zusätzlich zur Arbeit beim BVB. Wie hat Ihre Familie auf die Überstunden reagiert?
Meine Frau war am Anfang nicht so begeistert. (lacht) Aber sie wusste , dass Ghana eine riesige Chance für mich ist. Wenn du so ein Angebot bekommst, kannst du es nicht ausschlagen.
Klingt nach viel Arbeit – und nach einem herausforderndem Zeitmanagement.
Das stimmt. Den Arbeitsrhythmus gibt der BVB vor. Ich bin beim Training der Profis dabei und versuche am Wochenende so viele Spiele wie möglich live zu sehen. Sonntags erstelle ich Analysen und bespreche diese montags und dienstags mit Trainern und Spielern. Gegen Ende der Woche widme ich mich meist Ghana: Es sind mit Blick auf die WM viele Dinge vorzubereiten.
Donnerstags und freitags finden viele Videomeetings mit Funktionären und dem Staff statt. Wenn die Kinder im Bett sind, sitze ich meist ab 21.00 Uhr bis 01.00 Uhr nachts vor dem Laptop. Und am nächsten Tag stehe ich in Dortmund wieder auf der Matte. Aber im Fußball ist es ja so, dass die Arbeit nie aufhört, dass sich ständig etwas ändern kann und du 24 Stunden erreichbar sein musst.
Kürzlich wurden Sie von Erling Haaland und Jude Bellingham via Social Media für Ihre Arbeit gelobt, also von zwei angehenden Weltklassespielern, die Sie beim BVB begleitet haben. Eine schöne Anerkennung für jemanden, der eher im Hintergrund wirkt?
Zu 100 Prozent. Das ist eine große Ehre und freut mich sehr. Ein großes Lob ist es aber auch, wenn sich Spieler melden, bei denen es sportlich nicht ganz so erfolgreich gelaufen ist, die dir aber trotzdem positives Feedback geben und sich für die gemeinsame Zeit bedanken.
Wie genau sieht Ihre Aufgabe als Trainer der Top-Talente aus?
Im Prinzip geht es um vier Säulen. Die erste ist das Talentmanagement: Ich organisiere und plane gemeinsam mit den Trainern von der U17 bis zu den Profis, welches Talent wo trainiert und spielt. Viele schaffen zum Beispiel nicht sofort den Sprung zu den Profis. Dann schaue ich, ob sie am Wochenende nicht besser bei der U23 Spielpraxis sammeln, als bei der ersten Mannschaft auf der Bank zu sitzen. Es geht also darum, alle Mannschaften aufeinander abzustimmen und zu schauen: Was ist das Beste für das Talent.
Säule zwei ist die Videoanalyse. Für alle Top-Talente – das sind circa vier bis fünf Jungs pro Team ab der U17 – bereite ich die prägnantesten individualtaktischen Szenen vom Wochenende auf. Diese gehe ich mit dem jeweiligen Trainer vorher durch, um sie anschließend mit dem Spieler zu besprechen. Die dritte Säule ist das individuelle positionsspezifische Training mit den Jungs.
Der letzte Baustein, und vielleicht der wichtigste, sind regelmäßige Treffen neben dem Platz. Dort besprechen wir auch private Themen. Ich versuche, ein Vertrauensverhältnis aufzubauen und zu pflegen. Denn je besser wir uns kennen, desto mehr versteht der Spieler, dass Kritik nichts Negatives ist, sondern positiv und ihm letztendlich hilft.
Bei Dortmund zeigt sich, wie gut dieses Konzept funktioniert. Doch es sind nicht viele Vereine in der Bundesliga, die auf solch ein Spezialtrainermodell setzen.
Es sind tatsächlich nicht viele, aber immer mehr Klubs kontaktieren mich, um nachzufragen, wie wir das Thema handhaben und aufgebaut haben. Immer mehr Vereine erkennen, dass dieser Posten eine notwendige Position ist und dass es nichts besseres gibt, als eigene Talente in die erste Mannschaft zu bringen. Du hast eine hohe Identifikation, die Fans lieben es und am Ende ist es auch ein Businessmodell.
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Mehr InformationenMan kann sagen, dass Sie ein Pionier in diesem Bereich sind, denn vor rund fünf Jahren waren Sie selbst es, der von sich aus bei Borussia Mönchengladbach mit einem fertigen Konzept für diese Position anklopfte. Wie kam es dazu?
Es gab damals hier und da schon Talentmanager. Aber so wie ich es heute umsetze, habe ich es vorher nirgendwo gesehen. Ich war selbst U19-Coach beim Hamburger SV und habe viele Situationen erlebt, in denen ich Talente zu den Profis schicken musste. Das war schwierig, denn die Profitrainer hatten – besonders in Krisensituationen – kaum Zeit, um den Jungs Feedback zu geben und sich um sie zu kümmern. Es war niemand da, der auch mal eingeordnet hat, ob sie gut gespielt und trainiert haben oder wie sie sich hätten verhalten müssen. Niemand, der sich die Trainingsbelastung angeschaut hat. Das war nicht einfach – und das habe ich dann proaktiv übernommen.
Es ist immer gut, wenn jemand da ist, damit der Übergang zu den Profis reibungsloser klappt. Deswegen habe ich mir damals vorgenommen, ein Konzept zu schreiben. Als ich 2016 in Dänemark beim FC Nordsjælland als Co-Trainer gearbeitet habe, blieb meine Familie in Deutschland. Also hatte ich Zeit und habe meine Ideen verschriftlicht. Damit bin ich 2017 zu Borussia Mönchengladbach gegangen. Die Verantwortlichen fanden es gut und haben mich verpflichtet.
2019 holte Borussia Dortmund Sie an Bord, ein Verein, bei dem Sie lange Jahre selbst aktiv waren. Als ehemaliger Profi und Nationalspieler: Inwiefern hilft Ihnen Ihre Erfahrung im Umgang mit den Talenten?
Für mich ist es ein Vorteil, dass ich mich in die Jungs hineinversetzen kann. Ich weiß, wie man sich als junger Spieler fühlt, gerade auch, wenn es mal nicht so läuft. Beim BVB haben wir viele U-Nationalspieler, die in jungen Jahren bereits viel erreicht haben. Wenn sie zu den Profis kommen, sind sie nur noch Nummer 23 oder 24 im Kader. Das ist ein kleiner Bruch, der normal ist. Aber die Jungs müssen erstmal lernen, damit umzugehen. Ich habe das alles selbst erfahren, das versuche ich einzubringen. Klar, die Generation von heute ist anders als wir, aber über intensives Reden und Zuhören kannst du viel erreichen.
Beim BVB sind Sie Spezialtrainer – und in Ghana seit diesem Jahr der Headcoach. Wie unterscheidet sich Ihre Arbeit?
In Ghana bin ich hauptverantwortlich für eine ganze Mannschaft. Das ist etwas anderes. Ich delegiere deutlich mehr, konzentriere mich auf die großen mannschaftstaktischen Themen. Als Cheftrainer schaue ich nicht so sehr individualtaktisch, sondern vor allem auf das große Ganze, auf die Mannschaft als Verbund, darauf, wie sie sich bewegt und verhält. Ich habe in den vergangenen zehn bis 15 Jahren als Trainer und Co-Trainer sehr viel gelernt und mitgenommen, mir viel notiert. Das kann ich jetzt anwenden und versuche, das Beste für mich und meine Philosophie mitzunehmen.
Wie unterscheidet sich der Fußball zwischen Ghana in Westafrika und Deutschland in Mitteleuropa?
Es gibt Unterschiede, bei denen es wichtig ist, sie zu kennen. In Ghana wollen die Fans guten Fußball präsentiert bekommen, die Erwartungshaltung ist hoch. Und die Spieler musst du anders anpacken, eine spezielle Ansprache wählen, man geht anders in die Spiele: nicht ganz so verbissen, trotzdem erfolgsorientiert, aber auf eine eigene Art. In Ghana wird viel gebetet. Vor und nach den Partien gibt es viel Musik, es wird getrommelt. Das sorgt für eine sehr positive Stimmung.
In Deutschland sind es eher motivierende Reden, die Tonart ist ernster. Das unterscheidet sich schon. Außerdem gibt es auf dem Platz Dinge, die auf dem afrikanischen Kontinent schwer umsetzbar sind. Der Rasen ist oft nicht so gut, es ist viel, viel heißer. Wenn wir in Angola bei 40 Grad kicken, muss ich wissen, dass wir kein brutal hohes Pressing spielen können und dass das Tempo ein anderes ist. Als junger Spieler musste ich mich deshalb früher umgewöhnen. Ich wurde in Hamburg geboren, entschied mich aber, für Ghana zu spielen. Als ich dort das erste Mal auf dem Platz stand, hatte ich mich nach 20 Minuten total verausgabt. Die meisten unserer Nationalspieler heute sind ebenfalls in Europa aktiv sind. Von daher kennen sie beide Welten gut.
Sie haben es angesprochen: Sie entschieden sich, für Ghana zu spielen und nicht etwa für Deutschland, wo Sie geboren wurden. Warum?
Weil ich mich nie als Deutscher gesehen habe. Am Ende habe ich mich so gesehen, wie die Menschen mich gesehen haben: Insbesondere für diejenigen, die mich nicht kannten, war ich ein »Ausländer« – und so habe ich mich auch gefühlt. Deshalb war für mich relativ früh klar, dass ich nicht für Deutschland spielen werde, selbst wenn ich die Möglichkeit bekommen würde. Hinzu kommt, dass ich neben sehr vielen sehr positiven Erlebnissen auch zahlreiche Erfahrungen mit Rassismus machen musste. Ich war zwar ein Teil der Gesellschaft, wurde auch akzeptiert, aber eben nicht zu 100 Prozent. Das hat mich immer gestört.
Ihr Freund Gerald Asamoah entschied sich für den umgekehrten Weg. Obwohl in Ghana geboren spielte er für die deutsche Nationalmannschaft.
Heute sehe ich manche Dinge ein wenig anders. Wenn du älter wist, verändert sich die Perspektive. Ich finde es sehr gut, dass Gerald sich für Deutschland entschieden hat und damit ganz viele Weichen gestellt und Zeichen gesetzt hat. Er hat Menschen mit Migrationshintergrund, die in Deutschland leben, geboren oder aufgewachsen sind, gezeigt, dass man Schwarz UND deutsch sein kann. Mit dem Blick von heute: Wer weiß, vielleicht hätte ich mich anders entschieden. Aber ich bin froh darüber, wie meine Karriere verlaufen ist.
Wie wurden Sie damals in Ghana gesehen?
Dort hieß es anfangs oft: »Ah, der ist aus Deutschland…« Ich war der deutsche Ghanaer. Trotzdem spürte ich ein ganz, ganz anderes Willkommensgefühl: von der Mannschaft und von den Menschen auf der Straße. Es war immer herzlich, du bist immer willkommen. Auch wenn ich heute sehe, wie Ghanaer zum Beispiel mit weißen Deutschen umgehen, ist das immer herzlich, immer freundlich.
Die Vergabe der Weltmeisterschaft an Katar und das Gastgeberland selbst stehen massiv in der Kritik, vor allem wegen Katars Umgang mit Menschenrechten. Wie sehen Sie diese Diskussion?
Ich kann die Kritik total verstehen. Mir ist dabei wichtig, dass die Diskussion sich nicht nur auf Katar beschränkt. Es geschehen so viele Dinge, es werden zum Beispiel Olympische Spiele in Länder vergeben, wo man sich auch fragen kann, ob das sinnvoll ist. Man muss sich grundsätzlich etwas überlegen.
Wenn ich sehe, dass für Weltmeisterschaften in Brasilien oder Südafrika Stadien modernisiert werden und sich drumherum überall Slums befinden, stimmt etwas nicht. Wenn so viel Geld in die Hand genommen wird, ist das auch eine Verpflichtung, etwas für die Menschen zu tun, die dort leben. Es ist wichtig, sich über all das Gedanken zu machen und sich, wenn nötig, auch kritisch zu äußern.
Glauben Sie, dass sich der Fußball und seine Protagonisten noch mehr mit sozialen und moralischen Fragen auseinandersetzen sollten?
Zuerst einmal sollte jeder frei sein, seine Meinung zu äußern. Ich verstehe, dass im Fußball viele unterschiedliche Interessen vertreten sind und es so kompliziert werden kann. Auch die Sorge, dass der Sport zu politisch wird, kann ich nachvollziehen.
Aber es gibt Themen, die man nicht unter den Tisch fallen lassen darf, beispielsweise bei Fragen der Menschenrechte. Das Fußballbusiness kann nicht zur Tagesordnung übergehen und so tun, als ob nichts passiert wäre. Ich finde es wichtig, dass man sich klar positioniert. Der Fußball hat eine Verantwortung, wichtige Botschaften nach außen zu tragen.
Sie selbst tun das seit Jahren – vor allem beim Thema Rassismus. Hat sich seither etwas verändert?
Wenn du selbst negative Erfahrungen gemacht hast, willst du etwas verändern. Wir sind heute weiter als vor 20 Jahren, auch wenn es sich manchmal nicht so anfühlt. Wir sind aber noch lange nicht weit genug. Deshalb werde ich nicht müde, mich zu engagieren. Es gibt genügend Dinge, die schieflaufen. Wenn man nichts sagt oder tut, wird sich auch nichts ändern.
Glauben Sie, dass Vereine und Verbände genug unternehmen, um etwa gegen Rassismus vorzugehen?
Ich denke nicht. Das gilt auch bei anderen Themen. Sie sollten mehr tun, vorweggehen und sich noch viel, viel aktiver mit konkreten Aktionen einsetzen.
Herr Addo, wir danken Ihnen für dieses Gespräch.