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Ralley-Dakar-Champion Matthias Walkner: »Bei 185 Sachen durch die Wüste klammerst du dich nur noch mit aller Kraft am Lenker fest«

Lesedauer: 11 Minuten

© Claudia Ziegler

Der Salzburger Rallye Dakar-Star Matthias Walkner, 35, hat in seinem Sport schon alle Höhen und Tiefen erlebt. So richtig Fahrt nimmt der zweifache Weltmeister bei der Rallye Dakar 2018 auf, bei der er als erster Österreicher in der Kategorie »Bike« das härteste Rennen der Welt gewinnt. Sein Erfolgsrezept: der kompromisslose Wille, alles dem Sport unterzuordnen.

© Marcin Kin / Red Bull Content Pool

Ursprünglich hat bei Matthias Walkner alles nach einer Skikarriere ausgesehen. Doch während ihm ein gewisser Marcel Hirscher bei den Bezirkscup-Rennen den Rang ablief, wuchs insgeheim sein Traum von der großen Motocross-Karriere. Heute zählt »Hiasi« zur Weltspitze der Rallye-Szene. Im exklusiven Interview mit dem Sport Business Magazin spricht der ehrgeizige Kuchler über seinen Werdegang, tödliche Risiken, die Kosten einer Motocross-Saison, die enge Freundschaft mit Marcel Hirscher und Investitionen im siebenstelligen Bereich.

© Marcelo Maragni/Red Bull Content Pool

Herr Walkner, Ihre Erfolgsgeschichte begann in der Garage eines Kuchler Wohnhauses?

Ich bin in einer sportbegeisterten Familie aufgewachsen und war – wie meine Schwester Eva, die mittlerweile zweifache Freeride-Worldtour-Gewinnerin ist – ursprünglich im Skisport zuhause. Nebenbei hat mich der Motorsport fasziniert, egal ob Go-Kart oder Motocross. Irgendwann habe ich so gebettelt, dass kurz vor meinem 14. Geburtstag ein kleines Motorrad in unserer Garage stand. Mein Papa – selbst Hobby-Motocrosser – hat lange gezögert, weil ihm bewusst war, welcher Aufwand mit meiner neuen Leidenschaft verbunden sein wird. Schließlich habe ich damals schon alles zu 100 Prozent gemacht. Vor Mama haben wir das Bike erstmal versteckt.

Jeder ist Einzelkämpfer und sucht sich seine Rennen, seine Trainer, sein Team sowie seine Sponsoren selbst zusammen.

Wie sind die Strukturen in der professionellen Motocross-Szene?

Beim Motocross gibt es keine fixen Strukturen oder Verbände wie beispielsweise beim ÖSV. Jeder ist Einzelkämpfer und sucht sich seine Rennen, seine Trainer, sein Team sowie seine Sponsoren selbst zusammen. Für Lizenzen ist der OSK, die oberste nationale Sportkommission als Side-Verband des ÖAMTC, zuständig. Wettkämpfe gibt es schon ab Klasse 1 mit 50 Kubikzentimeter für Vier- bis Siebenjährige. Das geht bis zu Weltmeisterschaften hinauf.

© Flavien Duhamel / RedBull Content Pool

Damit liegt auch die finanzielle Belastung beim Sportler selbst. Wie viel Geld haben Sie bislang in Ihre Karriere investiert?

Mein Weg zur Weltspitze kostete über eine Million Euro. Wobei da noch viel unentgeltlicher Einsatz hinzukommt. Meine Oma hat mir immer das Motorradgewand gewaschen, Opa das Startgeld finanziert, Mama war für die Kulinarik zuständig, Papa ist mit mir zu Trainings und Rennen gefahren, mein Bruder hat das Bike repariert und meine Schwester war und ist bis heute für Presse und Sponsoring verantwortlich. So wurde ich – vor allem bei internationalen Rennen – bald von Sponsoren unterstützt. Ohne diesen unglaublichen Zusammenhalt wäre meine Karriere so nicht möglich gewesen.

Mein Weg zur Weltspitze kostete über eine Million Euro.

Damit liegt auch die finanzielle Belastung beim Sportler selbst. Wie viel Geld haben Sie bislang in Ihre Karriere investiert?

Mein Weg zur Weltspitze kostete über eine Million Euro. Wobei da noch viel unentgeltlicher Einsatz hinzukommt. Meine Oma hat mir immer das Motorradgewand gewaschen, Opa das Startgeld finanziert, Mama war für die Kulinarik zuständig, Papa ist mit mir zu Trainings und Rennen gefahren, mein Bruder hat das Bike repariert und meine Schwester war und ist bis heute für Presse und Sponsoring verantwortlich. So wurde ich – vor allem bei internationalen Rennen – bald von Sponsoren unterstützt. Ohne diesen unglaublichen Zusammenhalt wäre meine Karriere so nicht möglich gewesen.

©  RedBull Content Pool

Wie viel kostet eine Saison auf internationaler Ebene im Motocross-Sport?

Für eine Saison, die von März bis Oktober geht, muss man mit 60.000 bis 100.000 Euro rechnen.

Von welchen Sponsoren werden Sie unterstützt?

Mein Hauptsponsor ist KTM, von denen ich als Einzelunternehmer ein monatliches Honorar bekomme. Dazu kommen wichtige Partner wie Red Bull, Gmundner Keramik, TechnoGym, Spiluttini Bau, Günther Tore, Ride-100-Percent Brillen und Shoei-Helme.

Nicht zu vergessen: Der Inkassodienstleister Wolfgang Hillinger, der extra einen Wohnmobiltruck samt Aufleger um circa 300.000 Euro gekauft hat und damit fast zwei Jahre mit mir durch Europa gefahren ist. Er fungierte als Chauffeur, Koch, Mechaniker und Berater. Er war auch dabei, als ich 2012 den Weltmeistertitel im Motocross holte. Und dann ist da Heinz Kinigadner. Er supportet mich mit seiner Kleidung und vor allem auch persönlich.

Das ist mein größter Triumph.

Kinigadner ist ein Rallye-Urgestein. War er es, der Sie aus der Motocross-Szene in die Rallye-Welt brachte?

Ja! Die Motocross-Weltmeisterschaft wurde 2014 umgestellt auf sechs Überseerennen, was einen finanziellen Mehraufwand von 150.000 Euro pro Saison bedeutet hätte. Das war nicht machbar. Gleichzeitig war meine Leidenschaft für den Sport noch wahnsinnig groß und so kam der Rat von Heinz, Rallye zu fahren. Mit seiner Erfahrung ist er ein unglaublich wichtiger Mentor für mich, den ich jederzeit anrufen kann und der bei vielen Rennen auch selbst dabei ist.

Nach diesem Umstieg krönten Sie Ihre erfolgreiche Karriere mit dem Rallye-Weltmeistertitel 2015, dem Sieg bei der Rallye Dakar 2018 und dem neuerlichen Weltmeistertitel im Oktober 2021. Was war ihr persönlich größter Triumph?

Nach der Lebensmittelvergiftung bei der Dakar 2015, dem Oberschenkelbruch 2016 und dem zweiten Platz bei der Dakar 2017 habe ich mich ganz besonders über den Dakar-Sieg 2018 gefreut. Das ist mein größter Triumph.

© Edoardo Bauer / RedBull Content Pool

Für diesen Dakar-Sieg in Südamerika gab es 50.000 Euro. Heuer haben Sie bei der Rallye in Saudi-Arabien nach zwölf Etappen Platz drei erreicht. Wie viel Preisgeld gab es dafür?

Das weiß ich gar nicht so genau, ich schätze 20.000 Euro. Das ist allerdings nur vom Veranstalter, da kommt noch einiges dazu.

Wie viel verdienen Sie im Jahr beziehungsweise wie setzen sich Ihre Einnahmen zusammen?

Das kann und will ich so nicht sagen. Fakt ist, dass ich sehr dankbar darüber bin, mittlerweile von meinem Sport gut leben zu können. Ich habe in der Motocrosszeit viele Jahre sehr spartanisch gelebt, mit meinem Bruder bei Rennen auf vier Quadratmetern gewohnt und musste am Ende jeder Saison trotzdem noch 20.000 bis 30.000 Euro aufnehmen. Nur so viel: Finanziell ist mir in den letzten Jahren eine große Last von den Schultern gefallen.

 

Mein speziell umgebautes KTM-Bike mit Werksfahrwerk, das man so nicht kaufen kann, liegt bei rund 80.000 Euro.

Was kostet ein Motocross-Bike, das bei der Rallye Dakar im Einsatz ist?

Ein Rallye-Motorrad kostet um die 35.000 Euro. Mein speziell umgebautes KTM-Bike mit Werksfahrwerk, das man so nicht kaufen kann, liegt bei rund 80.000 Euro.

Wie viele Rennen kann man als professioneller Motorradpilot im Jahr fahren – Stichwort körperliche und mentale Fitness?

Hier muss zwischen Motocross, wo die Rennen an einem Tag stattfinden und einer Rallye, die bis zu zwei Wochen gehen kann, unterschieden werden. Als Motocross-Fahrer habe ich früher bis zu 29 Rennen pro Saison absolviert. Das ist absolute Höchstgrenze. Als Rallye-Pilot gehen sich fünf bis maximal sieben Wettkämpfe aus.

© RedBull Content Pool

Wie lange braucht man für die Regeneration nach der Rallye? 

Eine Faustregel lautet: Für einen Tag Wettkampf braucht man zwei Tage Regeneration. Die Rallye Dakar geht über zwölf Tage, demnach benötigt ein Athlet fast einen Monat, bis man körperlich wieder auf sein Leistungsniveau kommt. Ich gebe aber zu, dass ich bereits nach wenigen Tagen wieder in meinem Fitnessstudio stehe. Ich brauche das einfach.

 

Mein speziell umgebautes KTM-Bike mit Werksfahrwerk, das man so nicht kaufen kann, liegt bei rund 80.000 Euro.

Eine Rallye Dakar war noch nie sicher. Im Schnitt verunglücken jedes Jahr 1,6 Rennfahrer tödlich – so wie der 40-jährige Paulo Goncalves beim Debüt der härtesten Rallye der Welt 2020 in Saudi Arabien. Was hat diese Tragödie mit Ihnen gemacht?

Das war ein extrem harter Schicksalsschlag für mich. Paulo war ein langjähriger Weggefährte, sehr erfahren. Er war es auch, der mich nach meinem Oberschenkelbruch bei der Dakar 2016 »aufklaubte« und erstversorgte. Ich denke noch oft darüber nach. Diese Tragödie spornt mich an, mich immer wieder perfekt auf jeden Renntag vorzubereiten. Wenn ich diese kompromisslose Bereitschaft, alles zu geben, nicht mehr habe, muss ich auf der Stelle mit meinem Rennsport aufhören.

 

© Edoardo Bauer / Red Bull Content Pool

Wenn Sie mutterseelenallein mit Höchstgeschwindigkeiten durch die Wüste donnern – was geht Ihnen da durch den Kopf?

Ich bin fasziniert von der Landschaft und dankbar, dass ich das erleben darf. Mein schnellstes Rennen war bislang in Kasachstan, bei dem wir Durchschnittsgeschwindigkeiten von 141 Kilometern pro Stunde erreicht haben. Aber am meisten genieße ich die Fahrt bei bis zu 130 Kilometern pro Stunde, da bekommt man noch was mit, erkennt Schlaglöcher oder kleine Hindernisse. Wenn du mit 185 Sachen durch die Wüste fährst, bist du dem Ganzen völlig ausgeliefert. Da hältst du den Lenker so fest du nur kannst, baust für den Fall der Fälle Körperspannung auf und hoffst, dass nichts daherkommt.

Mein schnellstes Rennen war bislang in Kasachstan, bei dem wir Durchschnittsgeschwindigkeiten von 141 Kilometern pro Stunde erreicht haben.

Sind Sie ein »wilder Hund«, einer der Grenzen überschreitet?

Ich mag den Begriff nicht. Ich bin risikofreudiger als der Durchschnittsbürger. Das hat mir beispielsweise bei der Dakar 2018 den Sieg gebracht. Ich bin durch ein Flussbett gefahren, in dem irgendwann fünf Reifenspuren nach links in ein anderes Flussbett abzweigten. Ich war mir aber sicher, dass der optimale Weg noch 200 Meter gerade aus und dann nach rechts führt. Ich bin volles Risiko gegangen, bin meiner Intuition gefolgt und habe am Ende gewonnen.

© Flavien Duhamel / RedBull Content Pool

Wie wichtig ist mentale Stärke im Rallye-Sport?

Die ist extrem wichtig. Bei einer Rallye, bei der du zwölf Stunden durchgehend am Bike sitzt, kommen viele belastende Faktoren zusammen. Es gibt nur Essen wie Studentenfutter oder Gel-Sackerl, das in deiner Jacke Platz hat. Manchmal fährst du in extremer Hitze, dann wieder bei minus elf Grad, wo du glaubst, du erfrierst am Motorrad. Auch wenn dich Windböen durchrütteln, musst du immer die optimale Streckenführung im Blick haben, Risiken abschätzen und Entscheidungen treffen. Dabei bist du allein, das ist schon »zach«. Was mir mental am meisten hilft, ist das Wissen, dass ich mich perfekt vorbereitet habe, dass alle Hausaufgaben gemacht sind. Dazu gehört auch die körperliche Fitness, für die ich sechsmal pro Woche mehrere Stunden trainiere.

Dazu gehört auch die körperliche Fitness, für die ich sechsmal pro Woche mehrere Stunden trainiere

Welche Rolle spielen die sozialen Netzwerke in Ihrer Vermarktung?

Auch wenn ich kein Freund der schrillen Influencer-Feen bin, gehört es mittlerweile dazu, seine Fans am Sport teilhaben zu lassen und so auch Sponsoren mitzutransportieren. Vieles der Social-Media-Arbeit übernimmt meine Schwester. Ich selbst mache gerne Stories, mit denen ich authentisch und direkt aus dem Geschehen berichten kann. Schließlich ist der Motorsportfan kein oberflächlicher, sondern ein wahnsinnig interessierter und aufgeklärter Fan.

Der Vertrag mit KTM läuft Ende 2022 aus – wird verlängert?

Wir sind gerade in Verhandlungen, aber ich bin zuversichtlich, dass wir weiterhin zusammenarbeiten werden. Schließlich sprechen auch die aktuellen Leistungen für sich. Mit nur sechs Minuten hinten dem Dakar-Sieger – das ist für ein 40-Stunden-Rennen so gut wie nichts – zähle ich zur absoluten Weltspitze.

 

© RedBull Content Pool

Weltspitze war auch Ihr guter Freund Marcel Hirscher. Woher rührt ihre Verbundenheit?

Marcel kenne ich von den Ski-Bezirkscups unserer Kindheit. Ich habe immer alle Rennen gewonnen und plötzlich war da ein Jüngerer, der dieselben oder noch bessere Zeiten gefahren ist. Letztlich war es aber das gemeinsame Interesse unserer Väter am Motocross, das uns zusammenbrachte. Nach Marcels erstem Weltcupsieg in Val-d’Isère ist unsere Freundschaft beim Empfang in Annaberg neu aufgeflammt und bis heute geblieben.

Welche Rolle spielt sein Vater – Ferdinand Hirscher – in Ihrer Karriere?

Tatsächlich eine große. Er und Marcels Bruder Leon haben mich zwischen 2011 und 2014 als Trainer unentgeltlich begleitet. Durch sie habe ich gelernt, jeden kleinsten Faktor ernst zu nehmen. Beispielsweise haben sie sich mit dem Molekularaufbau von weißem Plastik befasst. Ab diesem Zeitpunkt wusste ich, denen geht es um jedes Detail. Das ist das Geheimnis ihres Erfolgs. Ihre Einstellung zum Sport hat mich geprägt.

Ich würde gerne Kinder und Jugendliche im Motocross-Sport begleiten, ihre strahlenden Augen sehen, wenn sie Spaß haben und Erfolge einfahren.

Hirscher ist nach seinem Rücktritt als Unternehmer in das Skibusiness eingestiegen. Werden auch Sie nach Ihrer aktiven Karriere den Motorsport mit Ihren eigenen Innovationen aufmischen?

Ideen für Innovationen hätte ich viele. Ich sehe mich aber eher in der Nachwuchsarbeit. Ich würde gerne Kinder und Jugendliche im Motocross-Sport begleiten, ihre strahlenden Augen sehen, wenn sie Spaß haben und Erfolge einfahren. Durch meine Erfahrung könnte ich gute Tipps geben und ihnen viel Lehrgeld ersparen: von der Trainingseinstellung über die richtige Ernährung bis hin zur optimalen Wettkampfvorbereitung. Das wäre eine erfüllende Aufgabe für »mein Leben danach«.

Herr Walkner, wir danken Ihnen für dieses Gespräch.

 

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