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Norwegens Fußballpräsidentin Lisa Klaveness: »Eine Quote kann traditionelle Strukturen brechen«

Lesedauer: 7 Minuten

© Romain Biard/Shutterstock

Die Zukunft ist weiblich – auch im Fußball? Lediglich 3,7 Prozent der Führungspositionen im Spitzenfußball werden von Frauen besetzt. Die Gründe sind vielschichtig und komplex, vorgeschlagene Ansätze zur Veränderung kontrovers diskutiert. Wie die Männerdomäne Profifußball weiblicher werden kann.

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Beim diesjährigen FIFA-Kongress in Doha sorgte eine Frau für Schlagzeilen. Als einzige Rednerin übte Lise Klaveness – gut einen Monat nach ihrer Wahl zur Verbandspräsidentin Norwegens – Kritik am Weltfußballverband, an seinem Präsidenten Gianni Infantino und an WM-Gastgeber Katar. Menschenrechte, Transparenz und Chancengleichheit stellte die 40-Jährige bei ihrer denkwürdigen Rede in den Mittelpunkt. Dabei sparte sie auch ihre persönliche Perspektive zum Thema Chancengleichheit nicht aus.

»Ich werde oft gefragt, wie es ist, in einer Männerwelt zu arbeiten«, erklärte die erste Präsidentin des norwegischen Fußball-Verbandes. »Ich antworte immer: Ich tue es nicht. Ich arbeite nicht in einer Männerwelt. Der Fußball gehört allen Mädchen und Jungen auf der Welt.« Soweit die Theorie. Die Praxis gestaltet sich in großen Teilen des Globus jedoch (noch) anders.

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Über 95 Prozent der Führungspositionen im Spitzenfußball von Männern besetzt

Allein bei der Betrachtung Europas sticht ins Auge, dass nur 3,7 Prozent der Führungspositionen im Spitzenfußball von Frauen besetzt werden. Das besagt eine Studie des internationalen Netzwerkes »Football Against Racism in Europe«. Blicken wir exemplarisch auf Deutschland. In den Klubs der Bundesliga, in den Reihen des Deutschen Fußball-Bundes (DFB) und in der Deutschen Fußball-Liga (DFL) sitzen knapp 250 Personen in Aufsichtsräten, Präsidien und Vorständen. Mehr als 95 Prozent: Männer.

Allein bei der Betrachtung Europas sticht ins Auge, dass nur 3,7 Prozent der Führungspositionen im Spitzenfußball von Frauen besetzt werden.

In der deutschen Wirtschaft hingegen gibt es seit 2016 eine gesetzlich geregelte Geschlechterquote. Diese hat deutliche Spuren hinterlassen. Während 2006 der Anteil der Frauen in den Vorständen der 100 größten deutschen Unternehmen bei gerade mal 0,2 Prozent lag, wuchs er bis zum Jahr 2021 auf 16,4 Prozent. Der Frauenanteil in den Vorständen der größten börsennotierten Unternehmen lag im April 2021 in Deutschland bei rund 35,7 Prozent, in den Vorständen der DAX-40-Unternehmen stieg er bis zum Jahr 2021 auf 17,5 Prozent. In den Aufsichtsräten der DAX-Unternehmen lag die Quote im gleichen Jahr bei 34,7 Prozent. Im Jahr 2019 erreichten 93,1 Prozent der damaligen DAX-30-Unternehmen die Frauenquote im Aufsichtsrat von mindestens 30 Prozent.

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Initiative »Fußball kann mehr« fordert Geschlechterquote

Im Fußball ist man hingegen, so scheint es, noch lange nicht so weit. Zwar ist im Januar 2022 mit Donata Hopfen eine Frau Chefin der DFL geworden, doch Vereine und Verbände sträuben sich gegen Geschlechterquoten. Das kann so nicht bleiben, findet die Initiative »Fußball kann mehr«. Neun prominente Frauen engagieren sich hier, machen auf die Ungleichheit aufmerksam und fordern eine Frauenquote im Profifußball. »Die Vielfalt der Spieler:innen auf dem Platz und bei den Menschen, die sich für den Fußball begeistern, spiegelt sich nicht in seinen Führungsgremien wider«, heißt es in einem Positionspapier der Initiative. Dieses haben Almuth Schult (Nationaltorhüterin), Bibiana Steinhaus (Schiedsrichterin), Claudia Neumann (Kommentatorin), Gaby Papenburg (Präsidentschaftskandidatin für den Berliner Fußball-Verband), Helen Breit (Vorsitzende der Fanorganisation »Unsere Kurve«), Jana Bernhard (Geschäftsführerin der Sponsorenvereinigung S20), Katja Kraus (Geschäftsführerin Jung von Matt Sports), Katharina Kiel (Geschäftsführerin talentZONE) und Sandra Schwedler (Aufsichtsratsvorsitzende FC St. Pauli) gezeichnet.

Darin fordert die Gruppe, bis 2024 bei Verbänden 30 Prozent Frauen in Präsidium, Vorstand und Geschäftsführung, aber auch in Aufsichtsräten eines jeden Profivereins zu installieren. Im Vorstand oder in der Geschäftsführung eines jeden Klubs soll demnach mindestens eine Frau vertreten sein. Die zweite Führungsebene soll paritätisch besetzt werden. Zudem setzt sich die Initiative für Programme zu Chancengleichheit, Gehaltstransparenz, besseren Rahmenbedingungen, geschlechtergerechter Sprache auf allen Ebenen des Fußballs und einer konsequenten Sanktionierung jeder Form von Sexismus und Diskriminierung ein.

Nach reiflicher Überlegung hatte die Gruppe darauf verzichtet, mit einer eigenen Kandidatin an den Präsidentschaftswahlen im März dieses Jahres teilzunehmen.

Damit sollen die Fortschritte, die in anderen Teilen der Gesellschaft zu verzeichnen sind, auch vor dem Fußball nicht Halt machen. »Die Generation, die jetzt gerade kommt, verdient sich Respekt«, erklärt Nationaltorhüterin Almuth Schult vom VfL Wolfsburg gegenüber dem NDR. »Man muss sehen, dass der Fußball nicht nur männlich dominiert ist, sondern dass es auch eine weibliche Seite gibt, die ziemlich charakterstark sein kann, und dass man diese Seite auch braucht.« Gemeinsam mit ihren Mitstreiterinnen hat sich die 31-Jährige besonders den Wandel beim DFB zum Ziel gesetzt. Nach reiflicher Überlegung hatte die Gruppe darauf verzichtet, mit einer eigenen Kandidatin an den Präsidentschaftswahlen im März dieses Jahres teilzunehmen. Das Ergebnis des DFB-Bundestages hat sie aber erfreut zur Kenntnis genommen: »Vorher saß eine Frau im Präsidium, jetzt sind es fünf. Wir hoffen, dass sich etwas ändert.«

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Vorbild Norwegen

Vorbildcharakter für die Bestrebungen in Deutschland hat sicherlich Norwegen. Schon lange bevor Lise Klaveness die Funktionärslaufbahn eingeschlagen hat, herrschte hier ein anderes Selbstverständnis innerhalb des Verbandes (NFF). Nicht nur, dass seit 2017 Nationalspielerinnen in der gleichen Höhe entlohnt werden, wie ihre männlichen Kollegen.

Der NFF steht schon seit langer Zeit für eigene, neuartige Wege. So hatte der Verband in Person von Karen Espelund auch zehn Jahre lang eine Frau auf dem Generalsekretärsposten. Als erste Frau diente sie zudem als Vollmitglied im UEFA-Exekutivkomitee. Bereits in den 1980er-Jahren gab es eine Geschlechterquote, für die Espelund noch heute dankbar ist – nicht nur persönlich, sondern auch inhaltlich. »Eine Quote kann traditionelle Strukturen brechen. Diversität führt zu den besten Ergebnissen in jeder Organisation«, sagte sie der Deutschen Welle. Bis heute hat sich dieses Modell in Norwegen bewährt. Inzwischen müssen mindestens zwei Frauen im Vorstand sitzen. Aktuell sind es vier Männer und vier Frauen.

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Braunschweig-Präsidentin Kumpis sieht Frauenquote skeptisch

Abseits all dieser Diskussionen um Quoten und neue Regularien hat sich im März 2022 Nicole Kumpis bei Eintracht Braunschweig in einer virtuellen Präsidentschaftswahl gegen ihren Gegenkandidaten Axel Ditzinger durchgesetzt. Zum ersten Mal in seiner 127-jährigen Geschichte hat das Bundesliga-Gründungsmitglied nun eine Präsidentin. Und sie ist erst die dritte Vereinschefin in der Geschichte des deutschen Profifußballs. Aktuell ist sie in allen 56 deutschen Profiklubs die einzige Frau an der Spitze.

Kumpis‘ Erfolg hat nach ihrer eigenen Einschätzung seinen Ursprung vor allem in ihrer langjährigen Verwurzelung bei Eintracht Braunschweig. »Die Mitglieder haben sich ganz bewusst für Nicole Kumpis entschieden – und nicht für eine Frau. Ich komme aus dem Verein und viele Leute haben mir das zugetraut.« Eine Frauenquote hätte sie im Kontext ihrer Wahl nicht unbedingt als Vorteil empfunden. Ganz im Gegenteil: »Die hätte wahrscheinlich eher dazu geführt, dass mich die Leute nicht so gern gewählt hätten.«

Diverse Kommentare von Fußballfans in den sozialen Netzwerken zeigen, dass der Weg zu Akzeptanz, ja zu Normalität, noch ein langer ist.

Den Grund für diese These liefert die 48-Jährige direkt mit: »Eine Frauenquote wirkt im ersten Zug immer aufgestülpt. Das macht auch etwas mit einem selbst: Man hat es dann nicht per Qualifikation oder per Inhalt geschafft, sondern weil die Quote erfüllt werden soll.« Gerade im Kontext des Aufbrechens verkrusteter Strukturen hält Kumpis eine Geschlechterquote zumindest zu Beginn jedoch für ein probates Mittel: »Sicherlich macht eine Quote am Anfang Sinn, um Frauen zu etablieren. Auf längere Zeit gesehen ist es immer besser, an Kompetenzen gemessen zu werden, als an einer Quote.«

Diverse Kommentare von Fußballfans in den sozialen Netzwerken zeigen, dass der Weg zu Akzeptanz, ja zu Normalität, noch ein langer ist. Viel zu oft stehen hier Kleidung, Aussehen oder einfach das Frausein an Stelle fachlicher Qualitäten im Fokus. Helen Breit aus der Initiative »Fußball kann mehr« weist neben diesen Effekt noch auf eine weitere Gefahr hin: »Alle Frauen im Fußball sind Vorbilder, ob sie es wollen oder nicht. Sie arbeiten auf einmal stellvertretend für alle Frauen. Und damit geht auch eine Belastung einher.« Es entstehe der Druck, perfekt performen zu wollen. Niemand dürfe jedoch den Fehler machen, den Frauen in Führungspositionen im Fußball nun zu viel zuzumuten: »Es ist nachgewiesen, dass Frauen in vielen Bereichen mehr leisten müssen, um die gleiche Anerkennung zu erfahren. Aber sie müssen nicht dreimal so gut sein wie die Männer. Es reicht, wenn sie gleich gut sind. Alle sind gefragt, das runterzukochen – und auf die Leistung zu schauen.«

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