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Viktoria Schnaderbeck: »Niemand war sich zu schade, für null Euro zu spielen« [Exklusiv]

Lesedauer: 11 Minuten

© IMAGO / Eibner-Pressefoto / Memmler

Viktoria Schnaderbeck, einst Kapitänin der Nationalmannschaft, prägte den Frauenfußball in Österreich maßgeblich. Ihre Reise begann als einziges Mädchen auf dem Platz in Kirchberg an der Raab und führte sie zu internationalen Erfolgen bei Bayern und Arsenal. Ihre Karriere: ein Spiegelbild der gesellschaftlichen Entwicklung des Frauenfußballs.

© Viktoria Schnaderbeck

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Selbstbewusst, ausdrucksstark und polarisierend: Viktoria Schnaderbeck war das Aushängeschild einer goldenen Generation des Frauenfußballs. 83-mal lief sie für das österreichische Nationalteam auf, neun Jahre davon als Kapitänin. In ihrer Zeit bei Arsenal, Tottenham und Bayern feierte die gebürtige Steirerin zahlreiche Erfolge: zwei Deutsche Meisterschaften, einen DFB-Pokalsieg sowie einen Meistertitel in England. Aktuell ist die verheiratete Mutter erfolgreich als Keynote-Speakerin, Unternehmerin und TV-Expertin aktiv.

In der 13. Folge des Zwischenstopp spricht Schnaderbeck mit Alexander Friedl und Markus Sieger über Momente für die Ewigkeit, das fußballverrückte England, Gedanken an ein frühzeitiges Karriereende und den schweren Schritt zum Outing.

© Viktoria Schnaderbeck

Im Alter von sieben Jahren haben Sie in Kirchberg an der Raab das Fußballspielen gelernt. Wollten Sie immer schon Profifußballerin werden und wie haben Sie sich in der Männerdomäne Fußball durchgesetzt?

Schon seit meiner Kindheit war es mein Traum, Profifußballerin zu werden. Im Alter von zehn Jahren wurde dieser Wunsch ernst. Als einziges Mädchen in meinem Fußballverein gab ich ein Fernsehinterview, in dem ich selbstbewusst verkündete, Profifußballerin werden zu wollen. Damals hatte ich keine Vorstellung von den Herausforderungen, die vor mir lagen – und das war wahrscheinlich auch besser so. Es gab kaum Möglichkeiten für Mädchen im Fußball, also musste ich diese Hürden überwinden und mir meine eigenen Chancen schaffen.

Mit 16 Jahren haben Sie auf Eigeninitiative mit Carina Wenninger ein Probetraining beim FC Bayern München absolviert und Sie sind beide genommen worden. Wie ging es weiter?

Mir war bewusst, dass mein Weg nur im Ausland weiterführen würde, nicht in Österreich. Also durchsuchten Carina und ich das Internet, bis wir auf der Website des FC Bayern auf das Wort »Sichtungstraining« stießen. Nach einem kurzen E-Mail-Austausch wurden wir eingeladen. Die Informationen waren knapp – nur Uhrzeit und Treffpunkt.

Doch das war der Beginn eines großen Schritts. Nach einem zweiten Probetraining wurde schnell klar, dass sie uns wollten, aber keine Bezahlung anbieten konnten. Auf der Heimfahrt von München nach Kirchberg wurde mir mit jedem Kilometer deutlicher: »Das muss ich machen, auch wenn es schwierig wird und wir alles größtenteils selbst finanzieren müssen.«

Mein größter Erfolg war, nach acht Knieoperationen immer wieder auf Topniveau zurückzukommen.

Sie haben sich beim FC Bayern durchgesetzt und sind mehrmals Meisterin und DFB-Pokal-Siegerin geworden. Im Jahr 2018 haben Sie den Sprung auf die Insel zum FC Arsenal gewagt, später auch noch bei den Tottenham Hotspurs gespielt. Wie bewerten Sie rückblickend die Zeit in England?

In München war die Zeit für mich besonders wertvoll, weil ich dort gereift und erwachsen geworden bin. Der Schritt nach England war das i-Tüpfelchen. Dort entwickelte sich der Frauenfußball in eine Richtung, von der man als Spielerin immer geträumt hat – volle Stadien, gute Gehälter, Aufmerksamkeit und Wertschätzung, wie man sie zuvor nur aus dem Männerfußball kannte.

Obwohl es noch immer große Unterschiede gab, sah man deutliche Fortschritte in Richtung Professionalisierung. Es war bereichernd, beide Seiten zu erleben: Einerseits das Spielen in zerfetzten Trikots, andererseits ausverkaufte Stadien mit 80.000 Zuschauern.

Was war Ihr persönlich schönster Erfolg?

Mein größter Erfolg sind vermutlich nicht die Titel, sondern die Tatsache, nach acht Knieoperationen am rechten Knie immer wieder zurückzukommen und erneut das Topniveau zu erreichen. Das war für mich viel herausfordernder als das Gewinnen eines Titels. Wenn man es an Pokalen misst, bleibt der Gewinn des DFB-Pokals besonders in Erinnerung – der erste Erfolg ist immer etwas Einzigartiges.

© Viktoria Schnaderbeck

Würden Sie es als Erfolg einschätzen, dass viele der Frauen, die im Profifußball aktiv sind, heute vom Fußball finanziell leben können?

Absolut! Ich bin stolz darauf, Teil dieser Entwicklung gewesen zu sein, bei der wir nicht nur sportliche Erfolge erzielt, sondern auch gesellschaftliche Veränderungen bewirkt haben. Es erfüllt mich mit Freude, jungen Mädchen die Möglichkeit gegeben zu haben, ihren Traum vom Profifußball zu verfolgen und ihnen den Weg zu ebnen, damit die nächste Generation bessere Bedingungen vorfindet. Dabei geht es nicht darum, Gehälter wie im Männerfußball zu erreichen, sondern um eine finanzielle Basis, die es ermöglicht, sich voll auf den Sport zu konzentrieren, ohne nebenbei studieren oder arbeiten zu müssen. Dieser Erfolg ist weitaus nachhaltiger. Gesellschaftliche Veränderungen sind selten und viel schwieriger zu erreichen, da sie ein anderes Maß an Verantwortung und das Eindringen in neue Bereiche erfordern.

Jedes Mädchen ist anders.

Was würden Sie einem aufstrebenden talentierten jungen Mädchen raten, das den Traum verfolgt, Profifußballerin zu werden?

Das Wichtigste ist, Freude am Spiel zu haben und gleichzeitig bereit zu sein, die »Extrameile« zu gehen. Spaß ist die Grundlage, aber um dich auf Topniveau durchzusetzen, brauchst du auch die nötige Entschlossenheit. Allerdings muss der Schritt ins Ausland nicht direkt nach der Schule erfolgen. Jedes Mädchen ist anders, und man sollte Faktoren wie Wohlbefinden, Heimweh, laufende Ausbildungen oder körperliche Fitness berücksichtigen.

© Mirko Kappes

Mit 17 Jahren haben Sie Ihr Debüt beim FC Bayern gefeiert. Nach zehn Minuten haben Sie sich einen Kreuzbandriss zugezogen. Die Ärzte prophezeiten Ihnen das Ende Ihrer noch nicht gestarteten Karriere als Profifußballerin. Zwei Jahre später folgte Ihr zweiter Kreuzbandriss. Wie konnten Sie das damals verkraften?

Wie ich das alles verkraftet habe, ist mir manchmal selbst ein Rätsel. Wenn ich zurückblicke, kommen viele Gefühle und Emotionen hoch, die vor allem für ein junges Mädchen schwer einzuordnen sind. Für mich galt nur die Devise: »Augen zu und durch«, und ich habe kaum nachgedacht. Während der Reha nach dem zweiten Kreuzbandriss nutzte ich die Zeit, um mein Abitur abzuschließen.

Doch der Gedanke, nie wieder Fußball spielen zu können, war stets präsent. Zur Sicherheit entwickelte ich Plan B: ein Studium in den USA. Zum Glück brauchte ich diesen Plan nicht, weil Plan A aufging und ich in den Profifußball zurückkehren konnte.

Ich würde lügen, wenn ich behaupten würde, nie über ein Karriereende nachgedacht zu haben. Trotzdem fand ich immer wieder neue Motivation, vor allem durch große Ziele wie die Champions League oder eine zweite Europameisterschaft, die mich in den letzten Jahren besonders angetrieben haben.

Wenn ich jeden Schritt noch einmal durchlaufen müsste, würde ich es wieder tun.

Sie hatten insgesamt acht große Verletzungen mit Operationen in Ihrer Karriere. Haben Sie die Gefahr einer erneuten Verletzung nach einem Comeback mental ausblenden können?

Bei den ersten Verletzungen habe ich nicht viel darüber nachgedacht; es war kein Thema für mich. Doch bei den letzten Verletzungen änderte sich das. In manchen Trainingseinheiten ging ich nicht mehr mit voller Intensität in die Zweikämpfe. Nach dem Spiel oder Training war ich einfach nur erleichtert, gesund geblieben zu sein.

Würden Sie rückblickend sagen, dass diese ganzen Anstrengungen und schweren Verletzungen es schlussendlich auch wert waren? 

Wenn ich jeden Schritt noch einmal durchlaufen müsste, würde ich es wieder tun. Diese Erfahrungen haben mich stark gemacht und zu der Person geformt, die ich heute bin. Nach jeder Verletzung bin ich nicht nur in die Stammelf zurückgekehrt, sondern konnte auch Erfolge feiern – ob Meistertitel in Deutschland und England oder Teilnahmen an der Champions League und Europameisterschaft.

Diese Highlights waren besondere Momente, in denen ich eine wichtige Rolle spielte. Zudem hat sich der Frauenfußball weiterentwickelt, und ich wollte unbedingt Teil dieser Entwicklung sein. Meine Geschichte eröffnet mir jetzt neue Möglichkeiten, und es ist ein Privileg, sie teilen zu dürfen und anderen vielleicht Mut zu machen.

© Brendan Moran / SPORTSFILE

Sie waren eine feste Größe im österreichischen Nationalteam, haben 83 Spiele absolviert und neun Jahre lang als Kapitänin das Team angeführt. Unvergessen ist der Erfolg bei der EM 2017, als Sie bis ins Halbfinale kamen und in Österreich eine Euphorie auslösten. Wie blicken Sie auf diese Zeit zurück?

Für mich war das Team immer von größter Bedeutung, ebenso wie die Tatsache, dass so viele von uns über Jahre hinweg denselben Weg gegangen sind. Niemand war sich zu schade, für null Euro zu spielen, und dennoch trugen wir dieses Trikot mit Stolz. Ich denke, es war diese besondere Gruppe, die schließlich 2017 durch Leidenschaft und Teamgeist das erhalten hat, was sie verdient: Wertschätzung und Anerkennung. Viele Jahre war dies nicht der Fall, und genau das hat uns so eng zusammengeschweißt.

Gibt es aus dieser Zeit im Nationalteam ein oder zwei Spiele, die Ihnen besonders in Erinnerung geblieben sind?

Das EM-Viertelfinale gegen Spanien, das wir im Elfmeterschießen gewonnen haben, bleibt unvergesslich. Dieser kurze Moment voller Adrenalin und Freude, in dem man den Erfolg realisiert und die Mitspieler sich jubelnd auf einen stürzen – genau für solche Sekunden opfert man Jahre seines Lebens, wissend, dass sie für die Ewigkeit sind.

Ein weiteres prägendes Spiel war mein letztes für das Nationalteam bei der EM 2022 gegen Norwegen, dem Heimatland meiner Frau. Es war besonders, weil sowohl meine österreichische als auch meine norwegische Familie vor Ort waren. In diesem Spiel haben wir es erneut geschafft, die Gruppenphase zu überstehen und ins Viertelfinale einzuziehen. Dabei habe ich mir bewiesen, dass ich trotz Schmerzen und Rückschlägen auf höchstem Niveau performen kann.

Es war eine große Erleichterung, die Fußballbühne mit einer anständigen, finalen Leistung in einem vollen Stadion zu verlassen. Kein Spiel war für mich mehr selbstverständlich, und gleichzeitig wollte ich unbedingt gute Leistungen bringen. Diese Momente habe ich bewusst genossen und in mich aufgesogen.

Heute habe ich mehr Partner als während meiner Fußballkarriere.

Nach dem Abitur in München haben Sie eine Ausbildung zur Kauffrau für Marketingkommunikation gemacht, später ein Bachelor-Studium in Sportmanagement und einen Master in Wirtschaftspsychologie in London abgeschlossen. Welche Rolle spielt Weiterbildung in Ihrem Leben?

Das war für mich immer von großer Bedeutung. Mein Grundprinzip war stets, mein Bestes zu geben und optimal vorbereitet zu sein. Ich wollte immer mehr erreichen und besser sein als andere – das ist mein innerer Antrieb und Ehrgeiz.

Welche Rolle spielt Eigenvermarktung in Ihrem Leben – damals als Spielerin und heute?

Mir war aber klar, dass gute Partner und ein breites Netzwerk entscheidend sind. Heute habe ich mehr Partner als während meiner Fußballkarriere, und sie haben sich nicht wegen des Fußballs für mich entschieden, sondern wegen meiner Erfolgsgeschichte und den Werten, die ich vertrete. Ich stehe für das ein, woran ich glaube, und erhebe meine Stimme.

Es ist mir wichtig, dass meine Partner genau wissen, mit wem sie es zu tun haben und was sie von mir erwarten können. Deshalb kümmere ich mich selbst um meine Eigenvermarktung und setze meine Projekte mit hundertprozentigem Einsatz, Vertrauen und Verlässlichkeit um – so wie alles in meinem Leben.

© FUSSBALL KONGRESS

Sie sind seit mehreren Jahren auch als Keynote-Speakerin aktiv. Welche Themen behandeln Sie in Ihren Vorträgen?

Einerseits steht das Thema »Team und Teamerfolg« im Fokus: Wie entstehen erfolgreiche Teams? Was zeichnet sie aus? Warum sind manche erfolgreicher als andere? Ein weiteres wichtiges Thema ist »Leadership«. Hier geht es oft um female Leadership, aber auch generell darum, was gutes Leadership ausmacht – ein Bereich, in dem ich als ehemalige Kapitänin viel Erfahrung sammeln durfte. Ein weiterer Schwerpunkt ist der Umgang mit Rückschlägen: Wie entwickelt man ein positives Mindset? Auch Diversität ist mittlerweile ein großes Thema und spielt eine zentrale Rolle.

Sie sind auch international eine gefragte Frau. Sie sind offizielles Mitglied im »UEFA Football Board«. Was kann man sich darunter vorstellen?

Ein- bis zweimal im Jahr treffen wir uns in Lyon bei der UEFA zu einem Board Meeting, bestehend aus ausgewählten aktiven und ehemaligen Spielerinnen. Wir diskutieren aktuelle Themen wie zuletzt die Kreuzbandproblematik, den Einsatz von »VAR« und den neuen Spielmodus der Champions League. Jeder bringt seine eigenen Meinungen ein, was mir besonders viel Freude bereitet, da ich so im Frauenfußball engagiert bleibe.

Ich schätze die einfachen Dinge im Leben.

Sie haben am 18. Dezember 2019 Ihre Beziehung zu Ihrer Frau Anna öffentlich via Social Media kommuniziert und waren damit die erste österreichische Fußballspielerin, die sich als homosexuell geoutet hat. Wie schwer war der Schritt damals für Sie?

Der Schritt war schwierig, da ihn zuvor noch niemand gewagt hatte. Dass er so viel positives Feedback und schöne Rückmeldungen bringen würde, hätte ich nicht erwartet, doch er hat vieles zum Besseren gewendet. Früher musste ich manches mit angezogener Handbremse tun. Heute ist alles einfacher und ohne Konsequenzen. Ich kann ganz ich selbst sein, ohne etwas verbergen zu müssen.

Wie dürfen wir uns Viktoria Schnaderbeck privat vorstellen?

Ich schätze die einfachen Dinge im Leben und sehe mich als unkomplizierten Menschen. Vor allem aber bin ich ein Familienmensch. Ich genieße harmonische und spaßige Momente mit meinen Freunden. Obwohl ich spontan bin, erfordert das Leben als Mama mittlerweile etwas mehr Planung. Ich reise sehr gerne, freue mich aber auch, einfach nach Hause zu kommen und dem Trubel zu entfliehen. Manchmal genieße ich es, wenn einfach mal nichts los ist – das passiert viel zu selten. Seit Jahren habe ich einen stabilen, großen Freundeskreis, auf den ich immer zählen kann und der auch auf mich.

Frau Schnaderbeck, wir danken Ihnen für das Gespräch.

Ex-ÖFB-Kapitänin und Unternehmerin Viktoria Schnaderbeck im Hintergrundgespräch mit Moderator Markus Sieger und Chefredakteur Alexander Friedl.

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