Was kann der eSports vom Fußball lernen und umgekehrt? Diese Frage haben wir dem Sportstragegen Dr. Nicolas Gaede gestellt und jede Menge überraschende Antworten bekommen. Ein Gespräch über Umsätze im dreistelligen Milliardenbereich, den »Kommerz-Vorwurf« im Profifußball, Konzerte von Marshmello und Travis Scott in Videospielen, Digital Natives und die fehlende Positionierung des Fußballs.
Digitalisierung, Internationalisierung oder Nachhaltigkeit sind nur drei der großen gesellschaftlichen Themen, die aktuell in der gesamten Sport- und Entertainmentbranche intensiv diskutiert werden. Gemeinsam mit Nicolas Gaede – seinesgleichen Geschäftsführender Gesellschafter der CSIGHT GmbH, einer Strategieberatung für das Sport- und Entertainmentbusiness, und Professor für Innovationsmanagement und strategisches Marketing an der Hochschule für angewandtes Management – haben wir den Status Quo und die Entwicklungen des eSports in diesen Bereichen näher betrachtet. Wir erläutern, ob und wenn ja, wo es relevante Learnings für den Profifußball gibt.
Herr Gaede, wie viel Umsatz generierte der globale Gaming-Markt im Jahr 2021?
2021 wurde ein Umsatz über 163 Milliarden Euro prognostiziert. Im Vergleich zu 2020 bedeutet das ein Wachstum von 1,4 Prozent gegenüber dem bisherigen Rekordjahr – und das trotz Corona.
Was ist der Unterschied zwischen Gaming und eSports?
Man könnte vereinfacht sagen: Jeder eSportler ist Gamer, aber nicht jede Gamer ist auch eSportler. eSports ist ein Teilbereich des Gamings, dessen professionelle Speerspitze. Vergleichbar mit den Strukturen des Fußballs entspricht eSports dem Profifußball, während das sogenannte »Competitive Gaming« eher dem ambitionierten Amateurfußball zuzuordnen ist. Das »Casual Gaming« hingegen ist mit dem Freizeitfußball im Park vergleichbar. Ähnlich wie im Fußball gibt es sehr viele Freizeit- und Amateurgamer, aber nur sehr wenige schaffen den Schritt in den professionellen eSports.
Wie viel Absatz erreichte der eSports-Markt im vergangenen Jahr?
Der Umsatz betrug fast eine Milliarde Euro. Die entspricht deutlich weniger als ein Prozent des globalen Gamingmarktes. es handelt sich also wirklich nur um die Spitze eines sehr großen Eisbergs. Im Vergleich zum Vorjahr sprechen wir hier von einem Wachstum von 14,5 Prozent, was einmal mehr die positive Entwicklung des eSports trotz Corona und entgegen dem Trend in vielen klassischen Sportarten zeigt.
Aus welchen Bereichen kommen die hohen Summen?
Die weitaus größte Erlösquelle ist das Sponsoring mit über 60 Prozent – 580 Millionen Euro. Der Verkauf von Medienrechten macht aktuell keinen nennenswerten Anteil aus, da alle relevanten eSports-Events bislang »free to watch« sind.
Wie viel Umsatz hatte im Vergleich dazu die deutsche Fußball-Bundesliga in im selben Jahr?
Die deutsche Bundesliga generierte 2019/20 laut dem Wirtschaftsreport der DFL 3,8 Milliarden Euro. Dies entspricht einem Rückgang von zwölf Prozent im Vergleich zur Vorsaison. Aktuelle Zahlen sind noch nicht veröffentlicht. Aber allein der FC Bayern München und Borussia Dortmund haben zusammen 978,1 Millionen Euro erwirtschaftet, was fast dem Volumen des globalen eSports-Marktes entspricht. Hier gilt es bei aller Euphorie im Markt, auch die Erwartungen realistisch zu managen.
Wie wird sich der Absatz des deutschen eSports-Markts in den nächsten Jahren entwickeln? Geben Sie uns einen Ausblick.
Deutschland ist gemessen am Umsatz der größte eSports-Markt Europas. PwC und Omdia beziffern ihn im Jahr 2021 mit 113,2 Millionen Euro. Es ist davon auszugehen, dass Deutschland diesen Rang im europäischen Vergleich halten wird. Wir haben einen breit gefächerten Ligenaufbau mit professionellen Organisations- und Produktionsstrukturen, die Deutschland im internationalen Vergleich überdurchschnittlich gut dastehen lassen. Gleichzeitig ist anzumerken, dass die anhaltende politische Debatte um die Anerkennung des eSports als Sport und die »zurückhaltende« Position des klassischen Sports diesbezüglich im internationalen Wettbewerb nicht förderlich sind.
Auch zahlreiche bedeutende Unternehmen sind in Deutschland ansässig.
Sicherlich kommt dem deutschen Markt zugute, dass wichtige Player wie zum Beispiel Riot Games mit der LEC (Berlin) oder die ESL (Köln) deutsche Standorte für ihre europäischen oder globalen Headquarter gewählt haben.
Wird Deutschland diesen Status aufrechterhalten können?
Aktuell gibt es keinerlei Anzeichen, dass sich die positive Entwicklung der letzten Jahre nicht auch in Zukunft – zumindest mittelfristig – fortsetzen wird. Ganz im Gegenteil, denn das Interesse von Sponsoren, Medien und Dienstleistern steigt. Die Professionalisierung der Branche schreitet rasant voran. Und die Basis wird durch bessere und breitere digitale Infrastruktur immer größer.
Wie viele eSports-Fans und wie viele Fußballfans gibt es aktuell in Deutschland?
Die kurze Antwort: Es gibt etwa dreimal mehr Fußballfans – über 36 Millionen – als eSports-Fans – 13 Millionen – in Deutschland.
Kann eSports langfristig Fanzahlen wie der Fußball erreichen?
»Den« eSports als eine Sportart gibt es nicht. Vielmehr stellt jeder Spieletitel eine eigene digitale »Sportart« dar, die über ein eigenes Ökossystem mit Sportlern, Teams, Veranstaltungen und Ligen, Publishern und nicht zuletzt Fans verfügt. So ist beispielsweise »League of Legends« deutlich anders aufgestellt als »Dota2«, »CS:GO« oder »FIFA«. Insofern ist es schwer, eSports als Sammelbegriff mit einer einzelnen klassischen Sportart wie dem Fußball zu vergleichen. Wir sprechen ja auch nicht von »Ballsport« als einer Sportart. Ungeachtet dessen würde ich mich festlegen, dass Fußball auf absehbare Zeit die beliebteste Sportart in Deutschland bleiben wird.
Was spricht für den eSports?
Die positive Tendenz. eSports gewinnt entgegen der Entwicklung vieler anderer Sportarten gerade in der jungen Zielgruppe stetig an Relevanz. Die voranschreitende Digitalisierung sowie die Verbesserung der technischen Infrastruktur sprechen dafür, dass sich dies auch in Zukunft fortsetzen wird. Zudem wächst das Publikum mit dem eSports und wird jedes Jahr älter, während eine neue Zielgruppe von unten nachkommt und wie selbstverständlich mit eSports aufwächst. Der Fußball ist auf jeden Fall gut beraten, den eSports ernst zu nehmen, ist er gerade für Digital Natives der jüngeren Generationen sehr attraktiv.
Was kann der Fußball vom eSports lernen?
Im Profifußball gehören Internationalisierung und Digitalisierung seit Jahren zu den meistverwendeten Buzz-Words. eSports ist in seinem Ursprung 100 Prozent digital und international beziehungsweise global ausgerichtet. Er ist stark Community getrieben und sieht sich dennoch nicht dem dauerhaften »Kommerz-Vorwurf« seitens der Fans ausgesetzt.
Umsatz eSports Markt Weltweit
2021 wurde ein Umsatz über 163 Milliarden Euro prognostiziert. Im Vergleich zu 2020 bedeutet das ein Wachstum von 1,4 Prozent gegenüber dem bisherigen Rekordjahr – und das trotz Corona.
Nicolas Gaede
…im Gegensatz zum Fußball.
Ja, es ist allseits bekannt und unstrittig, dass eSports ein Teil der Entertainmentindustrie ist und als solcher von den Stakeholdern mit kommerziellen Interessen betrieben wird. Auf diese Weise kann der eSports sehr erfolgreich Sport und Entertainment verbinden und so Sponsoren ganz neue Möglichkeiten bieten. Der Konsum ist hoch interaktiv und die Kommunikation erfolgt nicht nur in eine, sondern in mehrere Richtungen. eSports setzt – sei es bewusst gewählt oder aus der Not geboren – auf deutlich andere Geschäftsmodelle. So werden Medienrechte bislang kaum monetarisiert, da der Fokus auf großen Reichweiten liegt. Daher gibt es kaum Exklusivität und die Events werden häufig in mehreren Streams gleichzeitig ausgestrahlt. Im Gegenzug wird der Fan durch sogenannte In-Game-Purchases – Käufe virtueller Items im Spiel – deutlich stärker monetarisiert.
Sind diese Modelle auf den Fußball übertragbar?
Ich sage ausdrücklich nicht, dass diese Ansätze 1:1 auf den klassischen Sport übertragbar sind, aber sie bieten interessante und lohnenswerte Denkanstöße. Das ist keine Einbahnstraße, auch der eSports kann sich in vielen Aspekten am klassischen Sport orientieren wie beispielsweise beim Aufbau und der Bindung einer lokalen Fan-Community, der Schaffung professioneller, organisatorischer Strukturen oder der sozialen Verankerung in der Gesellschaft.
Muss der Fußball zwangsläufig digitaler werden, um langfristig überleben zu können?
Der Fußball wird noch sehr sehr lange »überleben«. Er muss sich jedoch fragen, welchen Weg er einschlagen möchte, und das ist leider nicht mit einem Satz zu beantworten.
Wir haben Zeit.
Die immer stärker werdenden öffentlichen Diskussionen um soziale Verantwortung des Fußballs auf der einen und Kommerzialisierung auf der anderen Seite zeigen dass der Fußball sich in einem wesensimmanenten Zwiespalt befindet, der zwangsläufig zu einer Anpassung der eigenen Positionierung führen muss. Nach meiner festen Überzeugung müssen soziale Verantwortung und Kommerzialisierung keineswegs im Widerspruch stehen. Die Digitalisierung und der Umgang hiermit sind dabei nur ein Mosaikstein in der strategischen Ausrichtung. Aber in der Tat muss der Fußball in nahezu jeder Hinsicht digitaler werden.
Nennen Sie uns Beispiele.
Das Live-Erlebnis im Smart Stadium, das mediale Erlebnis hinsichtlich Format, Interaktivität, Individualität, die Fankommunikation und -interaktion insbesondere außerhalb der Spieltage oder die Datenerhebung, -verarbeitung und -nutzung.
Geht damit der Fußball – das »letzte Lagerfeuer dieser Gesellschaft« – in seiner Ursprungsform verloren?
Unterhaltungsformate, Werbebudgets und Zuschauer wandern zunehmend ins Digitale ab, auch der Fußball muss diesen Weg gehen, um jüngeren Zielgruppen die geeigneten Konsumwege und -formate zu geben. Das heißt nicht zwangsläufig, dass der Fuß- ball seine klassischen Geschäftsmodelle vorschnell aufgeben oder seine Rolle als »letztes Lagerfeuer« aufgeben muss. Es geht darum, die Dinge in einer ganzheitlichen Strategie parallel zu tun und sich zukunftsweisend zu positionieren.
Stichwort »Reaching the Unreachbles« – eSports und Gaming bietet Unternehmen Zugang zur einzigartigen Zielgruppe der Digital Natives der Generation Y und Z. Der Fußball kann das nicht. Werden eSports-Sponsorings in Zukunft für große Brands relevanter als Partnerschaften im Fußballbusiness?
Es ist ja nicht zwangsläufig ein Entweder-oder. Wie die Formulierung »Reaching the Unreachables« schon besagt, geht es vielmehr um eine spezifische und für Brands in vielerlei Hinsicht hoch attraktive Zielgruppe, die mit klassischen Sponsorships schwer erreichbar ist. Es ist zu beobachten, dass viele Brands aus ganz unterschiedlichen Branchen Partnerschaften im eSports abschließen. Dies gilt für Consumer Goods ebenso wie für Versicherungen, Automobilhersteller oder Luxury Brands. Jede Marke muss für sich selbst eine individuelle Sponsoringstrategie entwickeln und die geeigneten Partner identifizieren.
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Mehr InformationeneSports ist auch Teil der modernen Popkultur. So gab es in der Vergangenheit bereits virtuelle Konzerte des Rappers Travis Scott oder des DJs Marshmello im Videospiel Fortnite. Was hat es damit auf sich?Die Popkultur beziehungsweise ihre Anhänger unterscheiden nicht zwischen Sport und Entertainment. Die Übergänge zwischen eSports, Gaming, Musik, Film und Fashion sind fließend. Alle Bereiche überlappen und befruchten sich gegenseitig zum gemeinsamen Nutzen und Mehrwert für den User. Die von Ihnen genannten Beispiele zeigen die Attraktivität von Spieletiteln wie Fortnite – abseits des professionellen eSports – aufgrund der immensen Reichweiten, der Attraktivität der Zielgruppe und insbesondere auch aufgrund der einzigartigen Interaktivität mit der Community und der kreativen Gestaltungsmöglichkeiten.
Bieten sich durch solche Einbindungen neue Erlösquellen?
Ein klares Ja – neue Erlösquellen in vielerlei Hinsicht: Aufbau und Steigerung der Reichweite, Kommerzialisierung der Community, eCommerce, neuartige Einbindung von Sponsoren, die Liste ist lang. Es entstehen beispielsweise auch neue digitale Rechte, die wiederum vermarktet werden können, auch die Blockchain-Technologie ist ein Thema.
Gibt es im Fußball ähnliche Phänomene?
Auch im Fußball gibt es, wenn auch in der Entwicklung deutlich »zurückhaltender« und weniger progressiv, immer wieder Beispiele für Eventisierung von Spielen, Einbindung von Extended Reality – wenn wir an die Eröffnungsfeier der EURO 2020 denken, Virtualisierung von Werbung in Stadien sowie Einführung von NFTs im Fußballbusiness.
Herr Gaede, wir danken Ihnen für dieses Gespräch.
Dr. Nicolas Gaede
Sportstrategen
Seit 2019 ist der promovierte Betriebswirt Geschäftsführender Gesellschafter der CSIGHT GmbH, einer Strategieberatung für die Sport- und Entertainmentindustrie mit Sitz in Hamburg. Der Sport- und eSports-Stratege hat 18 Jahre Seniormanagement-Erfahrung im internationalen Sport- und Entertainment-Business und war für die Neu- und Weiterentwicklung zahlreicher Vermarktungskonzepte im traditionellen Profisport – insbesondere im Fußball – verantwortlich.Ebenso war er für eine führende Vermarktungsagentur für den Aufbau und die Leitung des internationalen eSports-Business verantwortlich. Darüber hinaus ist Gaede Professor für strategisches Marketing und Innovationsmanagement an der Hochschule für angewandtes Management.