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Der FC Barcelona, einer der traditionsreichsten und umsatzstärksten Klubs der Welt, steht vor einem finanziellen Kollaps. Schulden in Milliardenhöhe und die größte sportliche Krise des Jahrhunderts inmitten einer Pandemie. Wie konnte es so weit kommen? Eine Spurensuche.
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Mehr InformationenDer Futbol Club Barcelona steht für vieles: beispielsweise für die kulturelle Identität Kataloniens – der »Katalanismus«, soziales Engagement, technisch versierter Tiki-Taka-Fußball, perfekt ausgebildete »La-Masia-Talente«, Stars, Tradition und jede Menge Fußballgeschichte. Die Liste ist nicht enden wollend. Nicht von ungefähr kommt das Vereinscredo »Més que un club«. Es ist die Identität des FC Barcelona, die bei den Katalanen – vom Spieler bis hin zum Platzwart – stolz gelebt wird. So viel zur Theorie. Vom gelobten Credo, was so viel bedeutet wie »Mehr als ein Verein«, ist im Jahr 2021 wenig übrig geblieben. Die Probleme stapeln sich. Die Gründe dafür sind vielschichtig und komplex.
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Am Rande des Bankrotts
Ende Jänner 2021 wird bekannt, dass der große FC Barcelona ein gewaltiges Problem hat – ein finanzielles: 1,17 Milliarden Euro Gesamtschulden. Laut diversen spanischen Sportzeitungen sind 730,7 Millionen Euro davon kurzfristige Verbindlichkeiten. In der Öffentlichkeit war bereits bekannt, dass der 1899 gegründete Sportverein hohe Schulden besitzt. Dass die Zahlen aber so dermaßen im tiefroten Bereich sind, überrascht selbst Experten zu diesem Zeitpunkt. Die spanische Zeitung »El Mundo« schreibt sogar, Barça stehe »am Rande des Bankrotts«. Social-Media-Experte Mario Leo betont gegenüber dem Sport Business Magazin, dass die hohen Schulden »nichts Ungewöhnliches« bei europäischen Spitzenklubs sind, »allerdings sind von den derzeit 1,17 Milliarden mehr als die Hälfte kurzfristige Verbindlichkeiten« und die könnten zum echten Problem werden. Für Leo ein lösbares Problem, allerdings »verbunden mit unangenehmen Entscheidungen«.
Verwunderlich ist der hohe Schuldenberg auch deshalb, weil der Verein im selben Monat vom Wirtschaftsprüfungsunternehmen Deloitte zum »Umsatzkönig« gekürt wird. Mit einem Erlös von insgesamt 715,1 Millionen Euro ist der FC Barcelona die Nummer eins vor Erzrivale Real Madrid (714,9 Millionen Euro) und Champions- League-Sieger Bayern München (634,1 Millionen Euro).
Woher kommen also die exorbitanten Zahlen? Zum einen sind die hohen finanziellen Verluste durch die Covid-19-Pandemie und zum anderen teure Spielertransfers sowie (zu) hohe Spielergehälter zu nennen.
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Fehlender Tourismus
Beginnen wir mit den Auswirkungen der Pandemie. Die Coronakrise trifft den FC Barcelona besonders hart. Barça ist der Klub mit dem zweitgrößten Umsatzrückgang aller 20 Top-Vereine. Der Gesamterlös sank um 125,7 Millionen Euro, also knapp 15 Prozent. Der Verein erklärte, dass er ohne Coronakrise einen um 174 Millionen Euro höheren Umsatz erreicht hätte. »Diese Krise deckt bei dem einen oder anderen Klub in Europa finanzielle Schwächen auf«, bilanziert Stefan Ludwig, Leiter der Sport Business Gruppe bei Deloitte.
Ein Grund dafür ist der nun fehlende Tourismus, der eine zentrale Rolle in der Vermarktung des Vereins spielt. Barcelona ist ein beliebtes Ganzjahres-Urlaubsziel. Jährlich kommen bis zu 27 Millionen Touristen in die 1,6-Millionen-Einwohner-Stadt. Laut einer aktuellen Studie der Expedia Group ist Barcelona unter allen Fußballfans das beliebteste Reiseziel. Weltweit möchte fast ein Drittel (30 Prozent) hier ein Spiel live miterleben. Das bestätigt uns auch Fußballreisen-Anbieter Christian Pramberger: »Unsere meistgebuchte und damit wichtigste Destination ist nach wie vor Barcelona, gefolgt von Liverpool und Manchester.« Was sind die Gründe dafür? Für den Geschäftsführer von RES Touristik und Gründer von »Fussballreisen.com« ist es das Gesamtpaket, das die Stadt an der Costa Brava verspricht: »Barcelona bietet für jeden etwas: von Sightseeing über Kulinarik, von Shopping bis Sport, von Kultur bis Lebenslust. Hier lässt sich ein Städtereisen-Wochenende mit der ganzen Familie perfekt mit einem Heimspiel im Camp Nou verbinden.« Darüber hinaus sei für den deutschsprachigen Markt laut Pramberger die gute Erreichbarkeit – regelmäßige Linienflugverbindung – in Kombination mit günstigen Flugtarifen besonders attraktiv.
Von den Touristen und der erhöhten Konsumbereitschaft profitiert auch Barça: Tickets, Merchandising-Artikel und Stadiontouren werden wie am Fließband verkauft.
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Barça beliebter als Pablo Picasso
Hervorzuheben ist das vereinseigene Museum, das über die Jahre eine wahre Goldgrube für den Klub geworden ist. Nach der Sagrada Família und dem Park Güell von Antoni Gaudí ist das »Museu FC Barcelona« die beliebteste Sehenswürdigkeit der Stadt. Damit nicht genug: Mit jährlich über 1,5 Millionen Besuchern ist es das meistbesuchte Fußball-Museum der Welt und mittlerweile auch das meistfrequentierte Museum in ganz Katalonien – noch vor dem weltberühmten »Museu Picasso«.
Diese Zahlen bedeuten Einnahmen. Um die 60 Millionen Euro soll alleine das 3.500 Quadratmeter große Museum mit integriertem Merchandising-Shop jährlich einbringen. Diese Summe geht nun ab. »Der wegfallende Tourismus schadet Barcelona mehr als jedem andern Verein der Welt«, betont Alex Truica, freier Sportjournalist und Chefredakteur von »Barçawelt«, dem führenden deutschsprachigen Nachrichtenportal über den FC Barcelona. So ist es nicht verwunderlich, dass der Klub bei den kommerziellen Umsätzen einen Rückgang von 44,2 Millionen Euro (elf Prozent) verbuchen muss.
Auch die fehlenden Zuschauereinnahmen wirken sich auf die Bilanz des Klubs aus. Mit einem Fassungsvermögen von 99.354 Plätzen ist das Camp Nou das größte Fußballstadion Europas. In der letzten (vollständigen) Saison mit Fans – 2018/19 – hatte der Klub in 19 LaLiga- Heimspielen eine Auslastungsquote von über 76 Prozent. Das sind 1,4 Millionen Zuschauer gesamt und 76.000 pro Partie. Jetzt steht das »Wohnzimmer« der »Culés«, so werden die Anhänger des FC Barcelona genannt, leer und das seit über einem Jahr. Die Spieltagsumsätze sanken in der letzten Saison um 20 Prozent und damit fehlen 31,9 Millionen Euro. Eine Besserung ist mittelfristig nicht in Sicht. »Ich rechne frühestens mit einer Zuschauerrückkehr im Herbst«, so Barça-Experte Truica. Sinkende Zahlen gibt es auch bei den Rundfunkerlösen. 49,6 Millionen Euro (17 Prozent) verlor der Verein im Hinblick auf das Jahr zuvor.
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Megatransfers, die lange schmerzen
Ein weiteres Problem des 143.000 Mitglieder großen Vereins ist die Transferpolitik. In den letzten Jahren veränderten die Katalanen ihre Strategie. Anstatt Talente aus der vereinseigenen und weltberühmten Akademie »La Masia« hochzuziehen und schrittweise zu Stars auszubilden, setzt der Klub auf Transfers im dreistelligen Millionenbereich: Philippe Coutinho (145 Millionen Euro), Ousmane Dembélé (130 Millionen Euro) und Antoine Griezmann (120 Millionen Euro). Truica spricht von drei »Flop-Transfers«, die sich schlussendlich aufgrund ihrer hohen Ablöse und ihres Gehalts als »Geldfresser« erwiesen haben. Der sportliche Impact ist gering, große Erfolge in der Champions League bleiben aus.
Die Auswirkungen dieser Megatransfers sind bis heute zu spüren: Barça schuldet diversen Vereinen noch Geld. Es handelt sich um ausstehende Transferzahlungen in der Höhe von 196 Millionen Euro für Spieler wie Philippe Coutinho, Frenkie de Jong, Malcom und Arturo Vidal. Viele sind gar nicht mehr beim Klub und längst zu einem anderen Verein weitergezogen.
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An der Costa Brava lässt sich‘s gut leben
Problematisch sind auch die (zu) hohen Spielergehälter. An der Costa Brava werden Fußballprofis seit Jahren fürstlich entlohnt, oft überbezahlt. 74 Prozent der Einnahmen des Klubs fließen direkt in die Gehälter der Spieler, Trainer und Mitarbeiter. Bei keinem anderen Verein ist dieser Prozentanteil so hoch. So konnten die Katalanen in der Saison 2018/19 trotz Rekordumsatz von 840,8 Millionen Euro lediglich einen Gewinn im einstelligen Millionenbereich erwirtschaften. Im Sommer verschenkte man auch deshalb Topverdiener Luis Suárez an die direkte Konkurrenz Atlético Madrid. In den vergangenen Monaten bemühte sich der FC Barcelona darum, die Profis zu einem teilweisen Gehaltsverzicht zu bewegen, um die Kosten zu drücken.
»Die Klubs sollten ein ausgewogenes Verhältnis von Lohn- und Gesamtkosten zum Umsatz haben. Wenn diese Rate bei über 70 Prozent ist, wird es dauerhaft schwierig, alle anfallenden Kosten entsprechend abzudecken«, betont Ludwig von Deloitte und fügt vergleichend hinzu: »Die Vereine der deutschen Bundesliga liegen in etwa bei einem Anteil von 50 Prozent.«
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Worst-Case-Szenario als Lösung?
In dieser angespannten Lage kommt es am 31. Jänner 2021 zum negativen Höhepunkt: Die spanische Zeitung »El Mundo« veröffentlicht den originalen Vertrag des Superstars Lionel Messi samt Boni und diverser Details. 555.237.619 Euro soll der sechsfache Weltfußballer innerhalb von vier Jahren (2017 bis 2021) verdienen. Auf der Gegenseite: ein 1,17 Milliarden Euro hoher Schuldenberg. Ein Schlag ins Gesicht für alle Verantwortlichen des Vereins und ein Beleg für die fatale Misswirtschaft der letzten Jahre. Hauptverantwortlich dafür ist der ehemalige Präsident des FC Barcelona, Josep Maria Bartomeu, der Ende Oktober 2020 unter anderem aufgrund eines Misstrauensantrags seinen Stuhl räumen musste. Barçawelt-Chefredakteur Truica spricht von »jahrelanger Misswirtschaft«. Über eine lange Zeit hätten der Ex-Präsident und sein Vorstand »das Geld links und rechts aus dem Fenster rausgeworfen«.
Damit aber nicht genug. Messi kann den Verein im Sommer ablösefrei verlassen, ohne dass Barça einen einzigen Cent an Ablöse kassiert. Das Worst-Case-Szenario könnte real werden. Der Klub würde damit seinen wichtigsten Markenbotschafter und Zuschauermagneten verlieren. »Messi hat einen unfassbaren Werbewert für die Sponsoren und Fans des Klubs«, so Truica und gibt zu wissen, dass der finanzielle Erfolg mit dem sportlichen gekoppelt sei. Ein Abgang von »La Pulga« würde langfristig gesehen aufgrund der sportlichen Auswirkungen finanziell schaden. Auch Touristiker Pramberger bestätigt die Wichtigkeit des Argentiniers: »Sollte Messi im Sommer dem FC Barcelona erhalten bleiben, so kann ich mir vorstellen, dass dies auch für viele Fans ein Beweggrund sein könnte, den Klub zeitnah zu besuchen. Frei nach dem Motto: Einmal Messi bei Barça noch live spielen sehen.« Wirtschaftlich würde ein Abgang – im Hinblick auf sein hohes Gehalt – aber zumindest kurzfristig für Entspannung sorgen. Die grundsätzlichen Probleme werden damit allerdings nicht gelöst.
Wie können sie aus der Welt geschaffen werden? »Der Verein muss sein Gehaltsgefüge entschlacken, gleichzeitig ein schlagkräftiges Team zusammenstellen, um Messi im Sommer nicht zu verlieren. Wenn Messi den Klub verlässt, verändert das die Situation fundamental«, so Barcelona-Experte Truica, ehe er ein weiteres Bespiel in die Runde wirft: »Ich könnte mir vorstellen, dass unter dem neuen Präsidenten, Joan Laporta, der Stadionname des Camp Nou verkauft wird. Das ist einfach und würde dem Verein rasch einen dreistelligen Millionenbetrag bringen. Wenn du überleben willst, ist das der erste logische Schritt und ein notwendiges Übel.« Truica spricht von »vielen verschiedenen Variablen und Fragezeichen für den Präsidenten«.
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Können 310 Millionen Flower den Verein retten?
Es müssen rasch kreative Lösungen gefunden werden, um sich aus diesem finanziellen Missstand zu befreien. Eine Chance bietet das virtuelle Universum der sozialen Netzwerke. Der FC Barcelona zählt zu den führenden Klubs in der digitalen Fußballwelt – Stichwort Social Media. Die Katalanen haben aktuell plattformübergreifend 310 Millionen Follower – kein Fußballverein hat mehr.
»Durch die globale Strahlkraft des Fußballs vergessen viele, dass der FC Barcelona auch im europäischen Basketball, Handball und im Hockey absolut führend ist und auch hier Millionen an Fans weltweit erreicht«, betont Social-Media-Experte Leo. »Die Social-Media-Kanäle werden als externe Plattformen gesehen und es wird versucht, Interessierte und Fans zu eigenen ›FC-Barcelona-Welten‹ zu formen. Die Botschaft ›Mehr als ein Klub‹ wird im Verein absolut gelebt und dadurch wird den Nutzern inhaltlich ein breites Portfolio an Inhalten bereitgestellt «, erklärt der Digitalexperte und weiß: »Damit ist man unabhängig von sportlichen Ergebnissen und kann auch eine Saison wie die aktuelle, in der nicht alles rund läuft, mithilfe von Reichweiten und Interaktionen zumindest digital sehr gut kompensieren. Das macht den FC Barcelona sehr besonders.« Leo betreute mit seinem Unternehmen RESULT Sports den Verein aus Katalonien in den Jahren 2014 bis 2016 in seiner digitalen Strategie und ist bis heute in sehr engem Austausch mit dem Klub.
Die Frage, die sich stellt: Was sind diese Followerzahlen wert? Können damit auch Schulden reduziert werden? »Bisher hat der Großteil der europäischen Spitzenklubs die digitalen Erlösmodelle dahingehend genutzt, ihre Ressourcen und Angebote jeweils auszubauen. Die digitalen Erträge mit Social-Media-Vermarktung liegen bei den europäischen Top-5-Teams im niedrigen zweistelligen Millionen-Bereich«, erklärt uns Leo und merkt an: »Wobei die Einnahmen durch das kostenpflichtige Klub-TV und digitale Mitgliedschaften noch nicht eingerechnet sind. Somit liegen die Erlöse deutlich darüber.« Der Social-Media-Experte ist davon überzeugt, dass der Klub einen Teil der erzielten Gewinne als Schuldentilgung einsetzen kann. »Derzeit sind in etwa zehn Prozent aller Facebook-Beiträge, sieben Prozent aller Instagram-Posts und zwölf Prozent aller Tweets auf Twitter mit globalen und regionalen Partnerschaften vermarktet – diese Werte liegen jeweils drei bis fünf Prozent hinter den Klubs der englischen Premier League«, analysiert Leo und betont, dass es hier noch Optimierungsmöglichkeiten für den Verein gibt.
Für den »besonderen« Klub aus Barcelona sieht er aber auch noch einen anderen, innovativen Lösungsansatz: »Im Gegensatz zu anderen Vereinen macht Barça nicht alles zu Geld und setzt auf Werte, Gemeinschaft, Tradition und Strahlkraft. Daher wage ich eine andere These der Schuldenreduzierung. Der FC Barcelona zählt über alle Social-Media-Kanäle und Sportarten hinweg circa 310 Millionen Menschen weltweit. Wenn jeder dieser Fans vier Euro spenden würde, wäre der Klub von einem auf den anderen Tag schuldenfrei.« Leo ist der festen Überzeugung, dass »jeder Fan bereit ist, diesen moderaten Beitrag bereitwillig für die Fortsetzung dieses speziellen Vereins zu investieren «.
Probleme über Probleme, die sich beim Krisenklub aus Barcelona stapeln. Überspitzt formuliert müsste das Vereinscredo zumindest vorübergehend auf »Més que un problema« – übersetzt »Mehr als ein Problem« – angepasst werden. Es bleibt zu hoffen, dass sich der neue Präsident den kaum lösbaren Aufgaben annimmt, den einen oder anderen innovativen Lösungsvorschlag umsetzt und den großen FC Barcelona trotz Pandemie erfolgreich aus der finanziell prekären Krisensituation führt.