Handstand-Artistin und Extremsportlerin Stefanie Millinger ist einzigartig, in dem was sie macht. Die gebürtige Salzburgerin über atemberaubende Stunts, Extremsport als Fulltimejob, Risiko als täglicher Begleiter, Modeljobs für die VOGUE und das TV-Format »Das Supertalent« als Karriere-Booster.
© Sebastian Scheichl
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Mehr InformationenSie turnt am Rotorblatt eines Windrades, macht kopfüber einen Handstand über dem Abgrund und balanciert ungesichert am Paragleiter in luftiger Höhe: Die Handstand-Artistin, Extremsportlerin und fünffache Weltrekordhalterin Stefanie Millinger scheint todesmutig. Aber nur auf den ersten Blick. Was wirklich hinter ihrer Kunst steckt, wie sie mit ihren zarten 1,54 Meter Körpergröße täglich über sich hinauswächst, warum bei ihren Stunts keine Ärzte anwesend sind, wie wichtig ihre halbe Million Instagram-Follower sind und ob sie mit den waghalsigen Aktionen ihren Lebensunterhalt finanzieren kann, erzählt sie uns im exklusiven Sport Business Magazin Interview.
© Julian Artner
Frau Millinger, das Internet ist voll von atemberaubenden Stunts und ästhetischen Fotos Ihrer Akrobatikkunst. Wie haben Sie Ihre Liebe zur Verrenkung entdeckt?
Mit 13 Jahren bin ich übers Reiten zum Voltigieren gekommen. Da macht man akrobatische Übungen am Rücken der Pferde – und eben auch manchmal aus dem Handstand heraus. Dieser Bewegungsradius hat mich fasziniert und so habe ich in meinem Kinderzimmer täglich herumexperimentiert, geübt und perfektioniert. Sowas wird schnell zur Sucht. (lacht)
Welche besonderen Skills braucht es, um Handstandakrobatik zu machen?
Ich bin nicht hypermobil – also als sogenannter Schlangenmensch – geboren. Ich habe mir diese Flexibilität im täglichen Training erarbeitet, vorwiegend durch Ganzkörperstabilisation, Körperspannung und Stretching. Wobei ich zu 90 Prozent mit Eigenkörpergewicht trainiere. Ich bin – was Sport betrifft – extrem ehrgeizig und ein kompletter Autodidakt. Klettern und Bouldern ergänzen mittlerweile meine Trainingseinheiten im Fitnessstudio.
Beim Bouldern haben Sie auch Ihren Freund Phil kennengelernt. Er unterstützt Sie seither bei Ihren Aktionen. Welche Rolle spielt Ihr Umfeld?
Ich arbeite in sehr kleinen Teams. Das ist deshalb von Vorteil, weil ich sehr spontan bin. Eben ein kindlich-naiv denkender Mensch, der im Jetzt lebt und seine Visionen am liebsten sofort umsetzen möchte. Das ist auch von meinem Umfeld Spontanität und Verlässlichkeit gefragt. Mein Freund Phil ist meistens dabei sowie mein Manager und guter Freund Dominik Tamegger. Auch meine Mama unterstützt mich und liefert sogar selbst Ideen. Schließlich kennt sie mich von klein auf als quirliges Energiebündel. Ich habe mich bereits als Mädchen an die Dachrinne in zehn Metern Höhe gehängt, um Klimmzüge zu machen. Sie vertraut mir und weiß, dass mich mein Sport erfüllt.
No Risk, No Fun! Eineinhalb Stunden auf einem Paragleiter ohne Sicherung herumgeturnt: »Eine unvergessliche Erfahrung«
© Thomas Weber
Sie trainieren zehn Stunden pro Tag, sieben Tage die Woche – ein Fulltimejob. Können Sie mittlerweile vom Extremsport leben?
Ja, ich werde nicht reich damit, aber ich verdiene meinen Lebensunterhalt, indem ich für namhafte Plattformen oder YouTube Actionvideos produziere, lizensieren lasse und verkaufe. Da sind teilweise richtig arge Extremstunts gefragt, einige davon auch als Auftragsarbeit.
Zudem buchen mich Firmen für Fotojobs oder besondere Werbeaktionen. So wie bei der Nummer auf dem Windrad in Niederösterreich, wo ich anlässlich des 15. Tages des Windes in 65 Metern Höhe auf einem Rotorblatt herumturnen durfte. Eigentlich wollte ich das ungesichert tun, der Veranstalter bestand allerdings auf eine Sicherung.
Ich habe so ein starkes Mindset, dass mein Geist mich antreibt, Grenzen zu überschreiten. Das Unmögliche möglich zu machen, das macht mich aus.
»Free solo« ist ihre Passion – auf sich allein gestellt, ohne technische Sicherung?
Ganz genau, für mich geht »Free solo« einfach über alles. Da stellen sich Gefühle ein, die sind unbeschreiblich. Die vielleicht aufregendste Aktion bisher war der Stunt auf einem Paragleiter im Vorjahr. Da bin ich eineinhalb Stunden in luftiger Höhe herumgeturnt und musste mich und meinen Körper immer wieder auch auf die veränderte Thermik einstellen. Eine unvergessliche Erfahrung.
Damit gehen Sie aber auch bewusst das Risiko ein, Ihr Leben zu riskieren?
Ja und nein. Natürlich darf bei meinen Aktionen nichts schiefgehen. Die kleinste Unsicherheit kann mich mein Leben kosten. Aber: Gerade, wenn ich ungesichert agiere, bin ich viel mehr bei mir selbst. Ich bin fokussiert, alle Sinne sind geschärft, ich spüre meinen Körper intensiv und kann mich zu 1.000 Prozent auf mich verlassen. Menschen, die sich nicht rund um die Uhr mit ihrem Bewegungsapparat beschäftigen, können das kaum verstehen. Ich habe ein so starkes Mindset, dass mein Geist mich antreibt, Grenzen zu überschreiten. Das Unmögliche möglich zu machen, das macht mich aus. Dabei bin ich selbst meine verlässlichste Sicherung.
Ästhetische Kunst mit Suchtfaktor: »Das ausgeschüttete Adrenalin und Dopamin wirken wie eine Droge«
© Richard Schnabler
Ist bei Ihren waghalsigen Aktionen ein Arzt vor Ort?
Nein, bei meinen Stunts ist nie ein Arzt dabei. Ganz ehrlich: Wenn da was passiert, kann kein Mediziner mehr helfen.
Und wenn doch mal was passiert? Seit Ihrem Handgelenksbruch beim Klettern vor zwei Jahren sind Sie zu sieben Prozent als »behindert« eingestuft. Die Ärzte haben Ihnen prophezeit, dass Sie Ihren Sport aufgeben müssen.
Wenn was passiert, dann nicht bei meinen Stunts, sondern meistens bei Kleinigkeiten. Wie da aus 1,5 Metern Höhe. Und was die Ärzte in Bezug auf meinen Kahnbeinbruch betrifft: Die haben sich geirrt. Mein Körper hat neue Wege gefunden, um mit dem lädierten Handgelenk – das ich entgegen dem ärztlichen Rat nicht operieren lasse – meine Bewegungen auszuführen. Da habe ich eben meinen Handstand in »Schonhaltung« auf der Faust gemacht. Ich kann diese Schmerzen und jene, die ich auch heute noch von Verletzungen aus der Voltigier-Zeit habe, ausschalten.
Ich bin sehr spontan. Eben ein kindlich-naiv denkender Mensch, der im Jetzt lebt und am liebsten seine Visionen sofort umsetzen möchte.
Das ist beeindruckend, zumal Sie nach der Verletzung neue Weltrekorde aufgestellt haben.
Stimmt, da bin ich nach mehreren Anläufen endlich zu den »Guinness World Records« durchgedrungen. Aktuell steht mein Rekord im »Schweizer Handstand« bei 406 Wiederholungen in 59 Minuten und sechs Sekunden – und das, ohne mit den Füßen den Boden zu berühren. Mittlerweile habe ich schon fünf Weltrekorde, unter anderem auch einen im L-Seathold, den ich fünf Minuten und 15 Sekunden gehalten habe.
Neben den Weltrekorden und Stunts verschaffen Ihnen auch Modeljobs für Hochglanzgazetten wie der VOGUE oder Shootings mit Bären weltweite Aufmerksamkeit. Auf Instagram beispielsweise folgen Ihnen über eine halbe Million Menschen. Da lässt sich doch auch als Influencerin gut Geld verdienen?
Könnte man, ja, aber ich mache sowas nicht. Diese Social-Media-Kooperationen mit Rabattcodes und der ganzen Schleichwerbung sind nicht so meins. Ich will frei sein, in dem was ich poste. Und authentisch. Kein Geld der Welt würde mich dazu bringen, etwas zu tun, hinter dem ich nicht stehe.
Liebe zum Risiko: »Ganz ehrlich: Wenn da was passiert, kann kein Mediziner mehr helfen«
© Sebastian Weingart
Sie haben es mit ihrer eindrucksvollen Show auch ins Finale des TV-Formats »Das Supertalent« geschafft. Das war sicherlich ein Auftrags-Boost?
Die Geschichte mit dem Supertalent war eine spannende Erfahrung, die mir auch viele Anfragen für Shows bei Veranstaltungen gebracht hat. Davon habe ich vor der Corona-Pandemie viele gemacht. Aber in Wahrheit war das für mich nicht mehr als »ein Job«. Meine wahre Leidenschaft liegt woanders. Ich will spontan und kreativ sein, in der Natur, mein eigenes Ding machen…
…und über atemberaubenden Abgründen hängen?
Ja. Zum Beispiel.
Würden Sie sich als Adrenalinjunkie bezeichnen?
Tja, könnte man so sagen, wobei man damit aufpassen muss. Das ausgeschüttete Adrenalin und Dopamin wirken wie eine Droge. Wenn man sich daran gewöhnt, möchte man die Dosis steigern. Das kann schnell gefährlich werden. Da ist ein bewusster Umgang gefragt.
Ich habe mich bereits als Mädchen an die Dachrinne in zehn Metern Höhe gehängt, um Klimmzüge zu machen.
Ihre Liste an bereits absolvierten Stunts ist lang. Der Schwierigkeitsgrad ist kaum mehr zu übertreffen. Welche Ziele haben Sie noch?
Ich möchte gerne mal mit Haien tauchen, von einem Helikopter hängen oder am höchsten Punkt der Welt, dem Mount Everest, einen Handstand machen. Da ich allerdings keine gute Wanderin bin, wird dieser letzte Punkt wohl für immer ein Traum bleiben.
Gibt es auch Aktionen, die Sie nicht mit der Öffentlichkeit teilen?
Ja, von denen gibt es einige. Ich muss gestehen, dass ich meine allerbesten Aktionen nur für mich und mein engstes Umfeld mache. Das ist wie ein besonderer Schatz, den ich hüte. Die Öffentlichkeit bekommt aber trotzdem auch sehr Spektakuläres zu sehen.
»Diese Social-Media-Kooperationen mit Rabattcodes und der ganzen Schleichwerbung sind nicht so meins. Ich will frei sein, in dem was ich poste. Und authentisch.«
© Luc Bouchon
Gibt es Vorbilder, die Ihnen imponieren?
Ich vergleiche mich nicht mit anderen. Dennoch gibt es zwei Menschen, die ich aufgrund Ihrer Willenskraft und mentalen Stärke bewundere: Hochseilartist Philippe Petit, der entgegen allen Widerständen auf einem Drahtseil zwischen den Türmen des World Trade Centers balancierte und Marcel Hirscher, weil er im Kopf über so lange Zeit extrem stark sein konnte.
Was bringt Sie persönlich aus der Balance?
Wenn etwas nicht auf Anhieb funktioniert, so wie ich es mir vorstelle oder es die Tagesform nicht zulässt. Da werde ich zum kleinen Giftzwerg. Dann bin ich wütend auf mich selbst und komm aus dieser Gedankenspirale nicht mehr raus. Daran werde ich aber noch arbeiten, versprochen.
Wovon träumen Sie abseits Ihrer Extremsport-Karriere?
Irgendwann wird der Punkt kommen, da werde ich von heute auf morgen aufhören. Und für »danach« habe ich einen ganz großen Lebenstraum. Ich würde gerne auswandern, eine kleine Farm mit vielen geretteten Tieren haben und mit Phil in einem Baumhaus leben. Lanzarote könnte ich mir dafür gut vorstellen.
Frau Millinger, wir danken Ihnen für dieses Gespräch.