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Torger Christian »Toto« Wolff ist Motorsportchef von Mercedes und hat das Formel-1-Team zu sieben Meisterschaften geführt. Der gebürtige Wiener über sein Geheimnis des Erfolgs, den mutigen Rücktritt von Nico Rosberg, Führung, Empathie und Darwinismus im Motorsport.
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Herr Pichler, wann kam der Gedanke an ein neues Stadion für den SV Austria Salzburg?
Ein entscheidender Moment war das Rückspiel im UEFA-Cup-Achtelfinale gegen Sporting Lissabon am 7. Dezember 1993. Die UEFA hat per 1. Jänner 1994 die Stehplätze aus dem Zuschauerbereich verbannt. Aufgrund der gewonnenen Partie gegen Lissabon mussten wir das Viertelfinale gegen den damaligen deutschen Tabellenführer Eintracht Frankfurt im Wiener Ernst-Happel-Stadion spielen.
Es geht darum, zu verstehen, dass es nicht um einen Leader geht, sondern jeder Einzelne wichtig ist.
Sie haben sieben WM-Titel geholt, seitdem Sie 2013 Mercedes Motorsportchef wurden. Wie erklären Sie das?
Es geht um das Verständnis des Sports, der Technik, um eine klare Vorstellung einer Organisationsstruktur beziehungsweise der Aufteilung von Verantwortung und Kompetenzen. Wir sind eine Organisation, die Empowerment jeden Tag lebt. Wir versuchen, die Probleme zu analysieren und keine Schuldzuweisungen zu verteilen.
Natürlich kann man fragen: »Macht Empowerment ein Fahrzeug schneller?« Ich denke ja, weil den Ingenieuren der Freiraum gegeben wird, ihre Ideen umzusetzen. Aber jeder muss auch in der Lage zu sein, miteinander zu diskutieren, andere Meinungen zu akzeptieren und gemeinsam zum besten Ergebnis zu kommen. Mit dem passenden Forum ist die Entscheidungsfindung sehr einfach. Es geht darum, zu verstehen, dass es nicht um einen Leader geht, sondern jeder Einzelne wichtig ist. Das ist leicht in einer Präsentation an die Wand zu projizieren, aber viel schwieriger zu leben. Wir versuchen das.
Erfolgshunger: Auch nach sieben Titelgewinnen ist bei Wolff und Mercedes der Hunger noch nicht gestillt.
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Wie wichtig ist dabei der persönliche enge Draht zu den Fahrern?
Wertschätzung ist ein essenzieller Teil in jeder Beziehung – so auch bei uns im Team. Sie ist auf professioneller Ebene der Schlüssel, um die gemeinsam gesteckten Ziele zu erreichen. Andererseits braucht man aber auch Empathie, um zu respektieren, dass jeder seine ganz persönliche Meinung hat. Deswegen versuchen wir, auf zwischenmenschlicher Ebene eine gute Gesprächsbasis zu haben und die Ziele gemeinsam zu definieren. Manche Fahrer wollen mehr Kontakt, manche weniger.
Apropos Fahrer – warum haben Sie Ihre Rennkarriere in so jungen Jahren beendet?
Es war nicht meine Entscheidung, mit 22 Jahren mit dem Motorsport aufzuhören. Mein Sponsor hatte sich nach dem Unfall von Karl Wendlinger in Monte Carlo aus dem Sport zurückgezogen. Mir fehlten die Gokart-Ausbildung, die Finanzierung und die Verbindungen und ich dachte, die Geschäftswelt würde in diesem Alter der bessere Karriereweg sein.
Viele von uns haben das Gefühl, in einem Hamsterrad gefangen zu sein.
Das war aber nicht die einzige Karriere, aus der Sie sich zurückgezogen haben.
Meine Private-Equity-Karriere war zehn Jahre lang völlig losgelöst vom Motorsport. Aber die Investitionen in Teams brachten mich wieder zurück, sozusagen in eine dritte Karriere mit Wirtschaft und Sport.
Sie nannten Nico Rosberg »sehr mutig«, weil er schon so früh zurücktrat. Wie haben Sie das gemeint?
Viele von uns haben das Gefühl, in einem Hamsterrad gefangen zu sein. Sie suchen finanzielle Belohnung, Glück und Anerkennung. Nico ist seinem Instinkt gefolgt und von diesem Hamsterrad abgesprungen. Er hat all diese Anerkennung hinter sich gelassen.
Der Dompteur: Eine der wichtigsten Aufgaben für Wolff ist es, seine Starpiloten bei Laune zu halten.
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Also ist es, oder wird es normal sein, mehrere Karrieren zu haben?
Absolut. Wie wir leben, ändert sich stetig und die Welt bewegt sich so schnell, dass mehrere Karrieren in einem Leben Sinn machen. Was wir heute tun, könnte in zehn Jahren obsolet sein und es könnten völlig neue Bereiche auftauchen.
Welche Fähigkeiten aus Ihrer Zeit in der Finanzbranche helfen Ihnen heute am meisten?
Innerhalb der Finanzbranche war ich unter anderem für die Zusammenstellung kompetenter Teams verantwortlich. Diese Erfahrungen helfen mir enorm bei der Zusammensetzung einer leistungsorientierten Organisation, wie einem Formel-1-Team. Was die Vielzahl an Aufgaben betrifft, geht es darum, sich klarzumachen, welchen Beitrag man selbst am besten leisten kann. Für die persönlich schwächeren Bereiche muss man geeignete Unterstützung suchen.
Was wir heute tun, könnte in zehn Jahren obsolet sein und es könnten völlig neue Bereiche auftauchen.
Was erwarten Sie von den Menschen, mit denen Sie zusammenarbeiten?
Die Anpassungsfähigkeit an Veränderungen ist definitiv einer der zentralen Faktoren für den Erfolg eines Teams. Wie beim Prinzip des Darwinismus geht es nicht ums Überleben des Stärksten, sondern des Anpassungsfähigsten. Plötzlich ändert sich das Umfeld und wir müssen uns mit einer Krise auseinandersetzen. Wir werden zum Umdenken gezwungen, müssen uns etwas Neues einfallen lassen. Das meiste lernen wir an unseren schwersten Tagen. Wenn man in der Lage ist, ein Problem zu analysieren, ohne die Schuld bei einer Person zu suchen, kann man sogar gestärkt daraus hervorgehen.
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Und worauf kommt es beim Thema Führung an?
Das Wort »Führung« mag ich überhaupt nicht, denn ich bin überzeugt, dass in einer erfolgreichen Organisation jeder Einzelne Verantwortung tragen, Entscheidungen treffen und dafür geradestehen muss. Deshalb haben wir nicht nur die eine Führungskraft, sondern eine ganze Menge davon! Als ich dazukam, haben wir in unserem Team einige grundlegende Werte aufgestellt, die heute zentrales Leistungskennzeichen bei Mercedes geworden sind. Wir haben alle die gleiche Einstellung, was Loyalität und Transparenz betrifft. Wer als Organisation erfolgreich sein will, muss diese Werte verinnerlichen.
Als ich dazukam, haben wir in unserem Team einige grundlegende Werte aufgestellt, die heute zentrales Leistungskennzeichen bei Mercedes geworden sind.
Also, müssen Sie als selbsternannter Kontrollfreak auch die Zügel mal aus der Hand geben?
Unternehmensführung ist nicht Mikromanagement, sondern eben Empowerment. Man soll nicht in jede Entscheidung hineinpfuschen. Du musst die wichtigen Entscheidungen kennen und verstehen. Dann kann man die Leute auch mal machen lassen – selbst wenn man anderer Meinung ist.
Dennoch ist einer am Ende des Tages der »Boss«. Was braucht er oder sie?
Empathie. Interesse für die Menschen, mit denen man arbeitet und ein Verständnis für deren individuelle Stärken und Schwächen.
Herr Wolff, wir danken Ihnen für dieses Gespräch.