Foto: Salty View | Dieser Beitrag ist ursprünglich in der 33. Ausgabe des Sport Business Magazin (04-2021) erschienen.
GASTBEITRAG Nach vier Jahren Olympiavorbereitung kommt der Moment, in dem Sportler ihre Leistung am Tag X abrufen müssen. Um diese Herausforderung zu meistern, braucht es besondere mentale Fertigkeiten. Wir begleiten beispielhaft einen Olympioniken während der letzten Minuten vor seinem wichtigsten Wettkampf und sehen uns Methoden erfolgreicher Athleten an. Ein Gastbeitrag von Mentalcoach Wolfgang Seidl.
Noch zehn Minuten bis zum Start
Wie in Trance laufen beim Athleten die letzten vier Jahre Olympiavorbereitung im Kopf ab – eine Zeit intensiver Vorbereitung mit akribischer Arbeit und außerordentlicher Entwicklung auf allen Ebenen. Er ist dankbar für sein großartiges Umfeld, das ihn unterstützt und fördert. Er beobachtet, wie er die letzten Bewerbe erfolgreich meistert und seine Stärken umsetzt. Die Vorfreude auf den heutigen Tag steigt mehr und mehr.
Dieses Durchspielen von erfolgreichen Situationen aus der Vergangenheit ist ein Teil der Vorstart-Routine, die er sich bewusst antrainiert hat.
Jeder Sportler hat seine persönliche Strategie
Wenn wir uns die Vorstart-Routinen von erfolgreichen Olympiaathleten ansehen, können diese unterschiedliche Strategien aufweisen. Michael Phelps – 23-facher Olympiasieger – bevorzugte es, sich zurückzuziehen, Musik zu hören und die Ruhe zu genießen. Usain Bolt – achtfacher Olympiasieger – suchte den Kontakt zu den Fans und war nach außen fokussiert. Verschiedene Vorgehensweisen – beide waren effektiv.
Noch fünf Minuten, bis es los geht
Die Anspannung steigt. Gerade bei Großereignissen sind die äußeren Störfaktoren für Sportler enorm – jede Menge Reporter, Kameras und Fans. Jeder will etwas von einem. Auch die Euphorie und Aufregung, dass es sich um das wichtigste Ereignis in der Karriere eines Sportlers handelt, trägt dazu bei. Gerne würde er alle Interviewanfragen oder Autogrammwünsche erfüllen, jedoch hat er gelernt, in diesen entscheidenden Momenten auf sich zu schauen.
Er schließt die Augen, atmet ruhig und tief durch, um seinen Erregungsgrad nach unten zu regulieren. Er prüft seine innere Anspannung und lockert dabei seine Muskulatur. Mit vorbereiteten Selbstanweisungen lenkt er seine Aufmerksamkeit wieder ins Hier und Jetzt. Bei vielen Sportlern kreisen die Gedanken in diesen Momenten – ohne dass es ihnen bewusst ist – um Vergangenes oder Zukünftiges. Diese »geistigen Luftmaschen«, wie Felix Gottwald sie bezeichnet, binden Energie und kosten mental an Kraft und Fokus. So erzählt der dreifache Olympiasieger, dass er bei seinen ersten Olympiateilahmen zu sehr vom Drumherum überwältigt war, was sich schlussendlich auf seine Leistung auswirkte.
Die Letzte Minuten vor dem Startschuss
Höchste Konzentration ist beim Athleten gefragt, bei der Körper und Geist im Einklang sind. Bei der ersten Olympiateilnahme dachte sich der Sportler vor dem Start: heute muss ich 150 Prozent geben – was ihm schlussendlich seine Lockerheit kostete und nur zu mäßigem Erfolg führte. Heute weiß der Athlet, was er am Start benötigt. Diesen besonderen Zustand musste er sich hart erarbeiten, am Beginn oft Anpassungen vornehmen. Heute ist er der Situation nicht mehr hilflos ausgeliefert, sondern kann den Zustand höchster Konzentration bewusst herstellen und darauf vertrauen.
Die größte Gefahr für Athleten bei Großereignissen ist, etwas besonders leisten zu wollen. Ein gutes Beispiel ist der Schwimmer Christoph Rothbauer, der nach einem enttäuschenden Olympiarennen in Tokio 2021 gegenüber einem ORF-Reporter meinte, dass es mental belastend war und alles viel einfacher wäre, wenn der Wettkampf Sushi Cup, statt Olympia heißen würde.
Marcel Hirscher – zweifacher Olympiachampion – war ein Meister mentaler Stärke. Die Einstellung »Fehler machen zu dürfen« nahm Druck von ihm ab. Hirscher machte in den entscheidenden Rennen genau das, was er zuvor im Training bereits tausende Male geübt hatte: sich auf den Schwung im Hier und Jetzt zu konzentrieren, anstatt an das Ergebnis oder die Konsequenzen im Ziel zu denken.
Einer der erfolgreichsten Olympiaathleten – Ole Einar Bjørndalen – verschriftlichte vor jedem wichtigen Rennen seine Aufgaben auf einem Blatt Papier und visualisierte seine Ziele. Bjørndalen war im Biathlon einer der ersten, der die Wichtigkeit der mentalen Komponente erkannte und schon früh in seiner Karriere mit einem Mentalcoach arbeitete.
OLYMPIAGOLD NICHT PLANBAR »Erfolg kann nicht gewollt werden, die Chance auf Erfolg kann sich nur erhöhen, wenn die Athleten täglich an ihren technischen, taktischen, körperlichen und mentalen Komponenten arbeiten.« | © Chaay Tee
Drei, zwei, eins – Go
Der Startschuss ist gefallen, und der Athlet befindet sich in seinem bisher wichtigsten Wettkampf. Jetzt liegt es an ihm, das Beste daraus zu machen.
Wir müssen uns bewusst sein, trotz akribischer Arbeit in allen Bereichen, kann keiner Erfolg garantieren. Erfolg kann nicht gewollt werden, die Chance auf Erfolg kann sich nur erhöhen, wenn die Athleten täglich an ihren technischen, taktischen, körperlichen und mentalen Komponenten arbeiten. Nur die wenigsten schaffen es zu Olympia, und unter jenen Qualifizierten darf am Ende nur ein einziger ganz oben stehen und die Goldmedaille in Empfang nehmen.
Eine der erfolgreichsten deutschen Schwimmerinnen – Franziska van Almsick – erkämpfte Goldmedaillen bei Europa- und Weltmeisterschaften. Was ihr allerdings verwehrt blieb, ist ein Olympiasieg. In einem Gespräch mit dem Journalisten Axel Rabenstein sagte sie, dass ihr das große Ziel Olympiasieg nicht gelungen ist, sie aber menschlich daran gewachsen sei.
Mein Tipp an all jene, die große Ziele haben, sei es im Sport, im Beruf oder im Privaten: Fokussieren und genießen Sie den Weg. Nicht umsonst heißt es: »Der Weg ist das Ziel«. Das bedeutet, dass sie sich mehr mit Ihren Fortschritten auseinandersetzen und jeden Schritt bewusster und achtsamer tätigen. Und am Ende sind es die täglichen kleinen Schritte, die sie zum ganz großen Ziel bringen. #
Wolfgang Seidl
Mentalcoach
In seiner Arbeit als Mentalcoach betreut Wolfgang Seidl neben Unternehmen und Führungskräften vor allem Sportler im Einzelcoaching. Dazu zählen zum Beispiel der mehrfache IRONMAN-Sieger Michael Weiss, die Boxweltmeisterin Eva Voraberger sowie Fußballer aus der Bundesliga. Zusätzlich berät er auch Mannschaften in Form von Workshops und Coachings.
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