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Die Fußball-WM der Todesopfer

Wie hoch ist der Preis einer Fußball-Weltmeisterschaft? 220 Milliarden US-Dollar investierte das Emirat Katar – auf Kosten tausender Menschenrechtsverletzungen und toter Gastarbeiter.
Lesezeit: 8 Minuten
Foto: 2022 Sebastian Castelier/Shutterstock

Die 22. Ausgabe der Fußball-Weltmeisterschaft findet im Jahr 2022 statt. Ein schöner Zufall und doch ist wenig schön an dem Turnier in Katar. Alles begann im FIFA-Hauptquartier in Zürich im Dezember 2010. Das Exekutivkomitee gab damals die Ausrichter der Weltmeisterschaften für die Jahre 2018 und 2022 bekannt. Das erste Turnier wurde an Russland vergeben und das zweite ging an den Kleinstaat Katar auf der Arabischen Halbinsel. Bereits Russland als Gastgeber war für manche Beobachter nicht nachvollziehbar, doch Katar konnte beinahe niemand verstehen. Ein Land, das für systematische Menschenrechtsverletzungen bekannt ist und das die Größe von Oberösterreich hat, sollte in wenigen Jahren das größte Fußballturnier der Welt ausrichten – das klang surreal. Auch auf die fehlende Fußballtradition wurde gelegentlich hingewiesen und selbstverständlich, dass sich das Land in der Wüste befindet, die Temperaturen im Sommer auf bis zu 50 Grad steigen und dabei kaum an Sport zu denken sei. Das war schlussendlich auch der Auslöser, das Turnier in den Frühwinter zu verschieben.

Einige Zeit nach der Bekanntgabe durch den ehemaligen FIFA-Präsidenten Sepp Blatter, erschien im New Yorker eine Recherche, die darauf schließen ließ, dass bei der Abstimmung für das Turnier nicht alles mit rechten Dingen zugegangen ist. Insgesamt waren mindestens drei hochrangige Funktionäre bestochen worden, um ihre Stimme Katar und nicht dem Mitbewerber – den USA – zu geben. Der Brasilianer Ricardo Teixeira – damals Präsident des mächtigen brasilianischen Fußball-Nationalverbandes (CBF) – war einer von ihnen. Unabhängig der Bestechungsvorwürfe an Katar starteten die Vorbereitungen auf das Fußballfest zwölf Jahre später.

»Kein Mensch hätte sich für die Arbeitsbedingungen«

Von Beginn an war klar, dass ein kleines, aber sehr reiches Land wie Katar viele Gastarbeiter benötigen würde, um die Infrastruktur für die WM, also die Stadion, Straßen und weitere Notwendigkeiten zu bauen. Zehntausende Menschen aus Indien, Bangladesch, Nepal, Pakistan, Sri Lanka und auch afrikanischen Ländern wurden in weiterer Folge in den jeweiligen Heimatländern für die Baustellen in Katar angeheuert. Die meisten in der Hoffnung gutes Geld zu verdienen und damit ihre Familien zuhause unterstützen zu können. Was sie aber nicht ahnten, dass ihnen in ihrer neuen Gastarbeiterheimat die Reisepässe abgenommen werden würden und sie im »Kalafa-System« wie Leibeigene den Baufirmen ausgesetzt sein sollten.

»Auf internationalen Druck hin, auch auf Einlenken der FIFA, hat die Regierung 2017 die Stärkung von Arbeitnehmerrechten zugesichert und angekündigt das Kafala-System zu beenden, bei dem ausländische Arbeitskräfte schutzlos ihren Vorgesetzten ausgeliefert sind«, erklärt uns Hanna Stepanik von der fairplay Initiative, die am Vienna Institute for International Dialogue and Cooperation (VIDC) angesiedelt ist. Stepanik ist Projektreferentin im Bereich Sport, Entwicklung und Menschenrechte. Auch die Unterkünfte der Arbeiter hielten nicht das was ihnen versprochen wurde. Beengt auf wenigen Quadratmetern, unter hygienisch schlechten Umständen, mussten sie ihre Nächte und Freizeit verbringen. Und das möglicherweise Schlimmste waren die Zustände auf den Baustellen. Weit entfernt von einem Arbeitsrecht wie wir es kennen, musste in der Hitze geschuftet werden, bei einem Lohn von wenigen Hunderten Euro im Monat wurden Schichten von bis zu 14 Stunden am Tag verlangt.

Aufgrund der fehlenden Sicherheitsvorkehrungen auf den Baustellen und den Übermüdungen kam es zu tausenden Todesfällen. Anfang 2021 berichtete der Guardian von 6.500 Todesopfern, die im Umfeld der WM-Baustellen zu verzeichnen sind. Diese Zahl zu überprüfen, ist kaum möglich – und es könnten noch mehr Menschen gestorben sein. »Ja, das ist nicht leicht zu überprüfen, da in der Vergangenheit sowohl von Katar als auch von den Herkunftsländern der Wanderarbeitnehmer nur unzureichende Daten erhoben wurden«, so Tim Noonan im Gespräch mit dem Sport Business Magazin. Noonan ist Direktor für Kampagnen und Kommunikation des Internationalen Gewerkschaftsbundes (ITUC) und mit Katar bestens vertraut. So ist er von Beginn an regelmäßig vor Ort, um sich für eine Verbesserung der Arbeitsbedingungen einzusetzen.

»Ich denke, es ist zu kurz gedacht, zu sagen, die FIFA darf die WM grundsätzlich nicht in Länder vergeben, die die Wahrung der Menschenrechte nicht gewährleisten. Wäre die WM nicht an Katar vergeben worden, hätte kein Mensch sich für die Arbeitsbedingungen der Bauarbeiter dort interessiert. Es ist durch die Vergabe zumindest ein Prozess in Gang gekommen. Die FIFA hätte allerdings schon direkt bei der Vergabe der WM von der Regierung Garantien verlangen können. Da glaube ich nicht, dass das Interesse diesbezüglich von Anfang gegeben war«, stellt Oliver Prudlo von der Vereinigung der Fußballer (VdF) seinen Standpunkt dar. Der ehemalige Fußballprofi ist bei der Fußballergewerkschaft stellvertretender Vorsitzender und zuständig für soziale Projekte.

Taten statt Worthülsen

Das Augenmerk der Öffentlichkeit brachte die zuständigen Behörden und die FIFA dazu, die Vorwürfe der sukzessiven Menschenrechtsverletzungen zu überprüfen und Verbesserungen bei den Arbeitsbedingungen vorzunehmen. »Ja, es gab wichtige Verbesserungen wie die Abschaffung des Kafala-Systems, die Einführung eines Mindestlohns für alle Arbeitnehmer, die Einführung eines Arbeitsgerichtssystems für die Behandlung von Beschwerden und mehrere andere positive Entwicklungen, einschließlich Entschädigungsfonds für ausgebeutete Arbeitnehmer«, meint Noonan vom Internationalen Gewerkschaftsbund. Das Gesetz für einen Mindestlohn ist das erste dieser Art im Nahen Osten und trat mit März 2021 in Kraft. Es ist ein Gesetz, das unabhängig der Herkunft der Gastarbeiter* und bei allen Arbeitsbereichen greifen soll. Auch Haushaltsangestellte – und hier sind es ebenfalls fast ausschließlich Fremdarbeiter – fallen unter diese neue Regelung. »Die aktuellen Fortschritte sind mit Vorsicht zu genießen, da diverse Formen von Ausbeutung von Arbeitsmigranten in Katar von internationalen Menschenrechtsorganisationen weiterhin dokumentiert werden«, erklärt Stepanik von fairplay.

Verbesserte Arbeitsbedingungen sind das eine, doch insgesamt gibt es bei den Menschenrechten im Emirat einiges an Nachholbedarf. Speziell bei den Frauenrechten und den Rechten von LGBTQI+-Personen muss noch sehr viel getan werden. Journalisten dreier skandinavischer TV-Sender gaben sich für eine Investigativ-Recherche als homosexuelle Paare aus, die gerne für ihre Flitterwochen in Katar ein Zimmer buchen möchten. Insgesamt kontaktierten die Journalisten 69 Hotels. Drei Hotels antworteten, dass sie den Paaren keine Zimmer zur Verfügung stellen werden. 20 Hotels ließen sie wissen, dass sie sich nicht als schwul zeigen dürfen, wenn sie bei Ihnen übernachten möchten. Bei einem Hotel war es die »Hotelpolitik«, die es ihnen nicht ermöglicht, ein schwules Paar zu beheimaten. Die restlichen Unterkünfte hatten entweder keine Einwände oder antworteten nicht auf die Anfragen. »Es genügt zum Beispiel nicht, nur im Vorfeld und in europäischen Stadien oder Büros sitzend die Wichtigkeit von Frauen- und LGBTQI+-Rechten zu betonen. Das bleiben oft leere Worthülsen«, meint Stepanik. Die fairplay Initiative fordert den aktiven Schutz von LGBTQI+-Personen sowie die Einhaltung der internationalen Arbeitsstandards beim Personal in den Bereichen Catering, Reinigung, Sicherheit, Gepäckabfertigung und bei sonstigen Aufgaben.

Boykott wäre ein Lösung gewesen, aber vor Jahren

All diese Missstände ließen in den vergangenen Monaten und Jahren die Stimmen nach einem Boykott der Weltmeisterschaft in Katar laut werden. Die Initiative #BoycottQatar2022 rund um die Fußballbuchautoren Dietrich Schulze-Marmeling und Bernd Beyer machte sich beispielsweise dafür stark, dass die WM neuvergeben werden sollte und wenn dieses eher unrealistische Szenario nicht Eintritt, wie sie im Zuge der Kampagne anmerkten, sollten zumindest Verbände wie der DFB klare Kante zeigen und dem Turnier fernbleiben. Nationalspieler und Trainer werden dazu aufgerufen, dass sie die Möglichkeit nutzen sollten, um auf die politische Situation in Katar hinzuweisen und sich an Kampagnen zu beteiligen.

»Der Gedanke, die Spieler müssten die WM von sich aus boykottieren, muss man zurückweisen. Die WM-Teilnahme ist für jeden Fußballer das Größte. Das kann man nicht verlangen«, meint Prudlo. Von einem Boykott hält auch der internationale Gewerkschaftsbund nicht viel. »Der ITUC hat nie zu einem Boykott aufgerufen, wir haben gesagt: ›Keine WM ohne Arbeitnehmerrechte‹, und die Kampagne hat wichtige Schritte in Bezug auf die Arbeitnehmerrechte gebracht«, erläutert Noonan. Der ITUC empfiehlt aber den Mannschaften, Zusehern und Sponsoren »gebührende Sorgfalt« walten zu lassen und vor Ort genau hinzusehen und zu überprüfen, ob die Beschäftigten in den Hotels, in denen sie übernachten, in den Stadien, im Transportwesen und den anderen Bereichen in den Genuss der gesetzlichen Änderungen in Katar kommen. Bei Verstößen sollen sie diese im Büro der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) in Doha oder beim katarischen Arbeitsministerium melden. Auch der Internationale Gewerkschaftsbund vor Ort ist ein direkter Ansprechpartner.

Unfreie Medien

Die Arbeit der ausländischen Medien vor Ort wird während den vier Wochen sehr wichtig sein. Um die Medienfreiheit ist es in Katar ebenfalls nicht gut bestellt. Laut Reporter ohne Grenzen befindet sich das Emirat auf Platz 119 von 180 untersuchten Ländern. Das Pressegesetz von 1979 erlaubt eine Vorabzensur der Inhalte. Und ein anderes Gesetz gegen Internetkriminalität verbietet angebliche Verstöße gegen soziale Normen. »Es ist gut vorstellbar, dass ausländische Medien während der WM frei berichten können – allerdings wird die katarische Regierung und auch sämtliche in die Organisation involvierten Stakeholder redlich bemüht sein, dass es während der WM-Spiele zu keinen offensichtlichen Menschenrechtsverletzungen kommt«, meint Stepanik von fairplay.

Von Seiten des ITUCs möchte man alles in der Macht Stehende tun, um die Pressefreiheit zu wahren und es den Medien ermöglichen, über Verstöße zu berichten. »Wir sind der Meinung, dass die Pressefreiheit in Katar und überall auf der Welt von grundlegender Bedeutung ist«, sagt Noonan. Wie sich Katar jetzt und nach der Weltmeisterschaft präsentiert, darf mit Spannung beobachtet werden. Die Verbesserungen bei den Menschen- und Arbeitsrechten sind erste Schritte, denen aber noch viele folgen müssen. Speziell was Frauenrechte und die Rechte der LGBTQI+-Community anlangt ist man in dem kleinen Land auf der Arabischen Halbinsel – wie auch in vielen Nachbarländern – weit von Gleichberechtigung entfernt. Denn in Katar ist es unter bestimmten Bedingungen sogar möglich, gegen Homosexuelle die Todesstrafe auszusprechen.

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